Aztec Challenge ist ein bemerkenswertes Videospiel aus den frühen 1980er Jahren, das auf ungewöhnliche Weise zwei unterschiedliche Versionen unter demselben Titel vereint. Ursprünglich erschien 1982 eine einfache Side-Scroller-Version für Atari-Heimcomputer, entwickelt von dem damals erst 17-jährigen Programmierer Robert „Bob“ Tegel Bonifacio. Diese erste Fassung – zunächst unter dem Namen The Bonifas beim Atari Program Exchange veröffentlicht – wurde von Cosmi-Gründer George Johnson sofort aufgegriffen, leicht überarbeitet (vor allem um einen simultanen Zwei-Spieler-Modus) und in Aztec Challenge umbenannt. Es wurde Cosmis erstes veröffentlichtes Spiel und ihr erster großer Überraschungserfolg. Angespornt vom Erfolg dieses preisgünstig vertriebenen Titels, der in den USA sogar in Lebensmittel- und Drogeriemärkten auslag, wollte Cosmi das Konzept schnell auf weitere Plattformen bringen. So portierte Bonifacio das Spiel noch 1982/83 eigenständig auf den Commodore VIC-20 und den TI-99/4A Heimcomputer. Atari selbst zeigte Interesse, eine offizielle Atari-Version herauszubringen, brach dieses Vorhaben jedoch ab bevor es zur Veröffentlichung kam. Bonifacios Original erwies sich trotz recht simpel gestrickter Technik als Hit für Cosmi – ein früher Beweis dafür, dass Gameplay vor Grafik zählen kann.
Nachdem Cosmi 1983 mit Forbidden Forest bereits einen äußerst erfolgreichen Horror-Action-Titel auf dem Commodore 64 veröffentlicht hatte (dieses erste Spiel von Paul Norman verkaufte sich Hunderttausende Male), sollte der Neuzugang Norman nun auch Aztec Challenge auf den C64 bringen. Doch anstatt Bonifacios Side-Scroller einfach zu konvertieren, entschied sich Norman, etwas völlig Eigenes zu schaffen. Ohne Rücksprache auf eigene Faust entwickelte er ein komplett neues Spiel unter dem gleichen Titel, das mit dem Atari-Vorgänger außer Thema und Name kaum Gemeinsamkeiten hatte. Diese kühne Entscheidung hätte bei vielen Firmen für Stirnrunzeln gesorgt, doch Johnson begrüßte Normans kreative Eigeninitiative – er erkannte schlicht eine weitere Verkaufschance. So kam es, dass 1983 tatsächlich drei verschiedene Spiele namens Aztec Challenge existierten: Bonifacios Original, eine verbesserte Atari-Fassung mit Replay-Feature, und Normans völlig neue C64-Version. Ein wenig Verwechslungsgefahr war durchaus gegeben, doch letztlich sollte gerade Normans Variante in die Retro-Geschichte eingehen.
Die C64-Version von Aztec Challenge präsentiert sich als eine Art interaktiver Mini-Actionfilm mit sieben völlig unterschiedlichen Leveln. Das Grundszenario wird gleich zu Beginn deutlich: Der Spieler übernimmt die Rolle eines jungen Aztekenkriegers um 1500 n. Chr., der dem Schicksal einer Opferzeremonie entkommen will. Dazu muss er eine Reihe von sieben tödlichen Prüfungen bestehen, um lebend aus der Hauptstadt der Azteken zu fliehen. Jedes Level entspricht einer dieser Prüfungen und bietet eigenständiges Gameplay mit eigener Perspektive, Steuerung und Herausforderung. Am berühmtesten ist das erste Level, „The Gauntlet“ (Der Spießrutenlauf). Aus einer über-die-Schulter-Perspektive rennt der Spieler automatisch einen Weg entlang auf einen Tempel zu, während links und rechts feindliche Azteken Speere werfen. Man muss blitzschnell entscheiden, ob man duckt oder springt, je nachdem ob ein Speer hoch oder niedrig angeflogen kommt. Diese Sequenz – untermalt von einer hypnotisch spannungsgeladenen Musik – wurde bei Spielern legendär, da man 16 Speeren in Folge ausweichen muss, um den Tempel zu erreichen. Schon ein einziger Fehler kurz vor dem Ziel wirft einen gnadenlos an den Anfang der Strecke zurück – begleitet vom hämischen Pfeifen der Azteken und zunehmend pochender Musik, die die Nerven strapaziert.
Mit jedem bestandenen Level dringt der Spieler tiefer in die aztekische Tempelanlage vor, und die Spielperspektive wechselt dabei ständig: Level 2 („The Stairs“) zeigt eine Seitenansicht, in der man beim Treppenaufstieg herabrollenden Felsblöcken ausweichen muss. In Level 3 („The Temple“) läuft man durch die Tempelräume in einer Art 2D-Labyrinth, muss dabei Fallen und Pfeilschüsse umgehen und per Joystick-Abbremsen im richtigen Moment stoppen. Level 4 („The Vermin“) wechselt zur Draufsicht: Hier gilt es, über einen von Skorpionen und Schlangen verseuchten Boden zu hüpfen, ohne die giftigen Krabbeltiere länger als einen Wimpernschlag zu berühren. Level 5 trägt den augenzwinkernden Titel „Hopaztec“ – ein Wortspiel mit Hop (Hüpfen) – und präsentiert ein Bodenmosaik voller versteckter Falltüren, durch die man nicht brechen darf. Level 6 („Piranha“) schließlich zwingt den Azteken ins kühle Nass: In einem seitlichen Tauch-Level muss man einem hungrigen Piranha-Schwarm entkommen. Die Darstellung ist hier vergleichsweise schlicht – und kurioserweise war dieser Abschnitt auf frühen s/w-Fernsehern unspielbar, da man die grauen Piranhas vor grauem Wasser nicht erkennen konnte. Wer es dennoch bis Level 7 schafft, steht am Ausgang des Tempels vor einer brüchigen Hängebrücke („The Bridge“). Hier erfordert es präzises Timing, um mit unterschiedlicher Sprunghöhe über fehlende Bretter zu springen, ohne in die Schlucht zu stürzen. Hat man alle sieben Prüfungen überlebt, ist jedoch keine Rettung in Sicht – der Kreislauf beginnt von vorn. Das Spiel startet wieder bei Level 1, nun in höherem Tempo und mit noch mehr und schnelleren Speeren. Insgesamt vier Durchgänge in steigender Schwierigkeit sind programmiert, wobei der letzte praktisch „unmenschlich schwer“ ist. Ein tatsächliches Ende oder Siegerbildschirm existiert nicht; der einzige „Preis“ ist die erzielte Punktzahl – eine Highscore-Liste sucht man aber ebenfalls vergebens. Das Spiel fordert den Spieler damit endlos heraus, ganz im arkadigen Geist der Zeit.
Technisch und audiovisuell war Aztec Challenge für 1983 beachtlich vielseitig. Jedes Level sieht anders aus und wechselt teils die Grafikperspektive – von der 3D-ähnlichen Vorderansicht im ersten Level zu 2D-Seiten- und Top-Down-Ansichten in späteren Abschnitten. Zwar wirken einige Grafiken etwas grob oder „hingeworfen“ (etwa der Dschungelhintergrund in Level 4 oder die etwas steif paddelnde Figur im Piranha-See), doch andere Szenerien sind erstaunlich detailliert gezeichnet (z. B. die Gebirgslandschaft hinter der Brücke in Level 7). Die Animation des Tempels, der im ersten Level immer größer am Horizont aufragt, hinterließ damals großen Eindruck. Besonderes Lob gab es für den Soundtrack: Entwickler Paul Norman war ursprünglich Musiker und hat sämtliche Musik und Effekte selbst komponiert. Heraus kam ein einziges, etwa zweiminütiges Musikstück, das sich über alle Level hinweg erstreckt – jedoch mit jedem Fortschritt an Intensität zunimmt, sich schichtweise aufbaut und immer unheilvoller wird. Diese dynamische, hypnotische Melodie prägt die Atmosphäre maßgeblich und treibt den Puls der Spieler merklich in die Höhe. Viele Spieler berichten sogar, dass gerade die Musik ihre Konzentration ins Wanken brachte und sie in kritischen Momenten zu Fehlern verleitete. Das Spiel will einen nervös machen, um die Herausforderung noch zu erhöhen – ein damals innovatives Design, das heute noch für schwitzige Hände sorgen kann.
Auf dem deutschen Markt erschien Aztec Challenge 1984 unter dem Titel „Die Rituale der Azteken“ beim Publisher Ariolasoft, während in Großbritannien Audiogenic den Vertrieb übernahm. Die zeitgenössische Presse lobte vor allem die packende Präsentation. Your Commodore schrieb 1984 anerkennend, Aztec Challenge halte „durchgehend einen hohen Standard an Grafik und Sound“, ähnlich wie Normans Vorgänger Forbidden Forest. Besonders die flüssigen Animationen und die unheimliche Stimmung wurden hervorgehoben – die Tester bezeichneten das Spiel als „definitiv eines der besten Spiele für den 64er“ und empfahlen es augenzwinkernd „jedem angehenden Athleten“. Auch international fand der Titel Anklang: In Großbritannien führte Zzap!64 das Spiel in der allerersten Ausgabe 1985 in ihrer Top-64-Liste auf Platz 60, und eine spätere Rezension vergab solide 72 % Wertung – kein Überflieger, aber respektabel für einen frühen Low-Budget-Titel. In Deutschland erhielt Aztec Challenge in der Happy Computer Spielewertung sinngemäß die Schulnote 2. Kritik gab es vor allem am Gameplay-Balancing. Der Schwierigkeitsgrad gilt als erbarmungslos – insbesondere der erste Speer-Level ist so hart, dass manche ihn für den schwierigsten Auftakt der C64-Historie halten. Spieler beklagten, Level 1 sei „unverhältnismäßig zu schwer“ im Vergleich zu späteren Prüfungen, was frustrierend wirken kann. Die langen Levels ohne Zwischenspeicher trieben viele zur Verzweiflung: „Dieses Arcade-Spiel kann einen wahnsinnig machen“, urteilte ein Rezensent – etwa wenn einen kurz vor dem rettenden Tempeltor doch noch ein Speer erwischt und man alles erneut machen muss. Dennoch übt gerade diese „Jetzt erst recht!“-Schroffheit auf Vielspieler einen eigentümlichen Reiz aus. Ein anderer C64-Wiki-Nutzer berichtete humorvoll, er könne „kaum ein frustrierenderes Spiel nennen“. Nach zahllosen Anläufen habe er es ein einziges Mal vollständig durchgespielt – „glücklich und erleichtert“ – und dann nie wieder angerührt. Viele hätten noch Jahre später großen Respekt vor dem gnadenlosen Spiel, das zugleich Kultstatus genießt.
Aus kommerzieller Sicht zahlte sich Normans radikale Neuinterpretation auf jeden Fall aus. Aztec Challenge für den C64 profitierte von Cosmis Strategie, Hochglanz-Spiele zum Sparpreis anzubieten, und erreichte über Budget-Publisher weltweit viele Haushalte. Genaue Verkaufszahlen wurden zwar nie offiziell vermeldet, doch gilt der Titel als einer der erfolgreichsten Budget-Games seiner Zeit. Das Preis-Leistungs-Verhältnis beeindruckte die Kundschaft – in Deutschland wurde die Kassettenversion beispielsweise für unter 20 DM verkauft, was außergewöhnlich günstig war. Cosmi selbst bundelte das Spiel später in verschiedenen Kompilationen, etwa der Arcade Hall of Fame (1987) und als Teil von Paul Norman’s Adventure Trilogy (1988). So fand Aztec Challenge noch Jahre nach Erscheinen neue Spieler.
Die Entwicklungsgeschichte hält einige interessante Momente bereit. So plante Paul Norman offenbar einst, sein Azteken-Abenteuer auch auf die betagte Atari 2600 Konsole zu bringen – verwarf diese Idee aber schnell aufgrund der technischen Limitierungen des 1977er Systems. Ironischerweise schaffte es dann viele Jahre später doch noch auf den Atari 2600: 2006 programmierte ein Hobby-Entwickler eine Homebrew-Version mit dem wunderbar albernen Titel „A-VCS-tec Challenge“ (VCS als Hinweis auf das Atari VCS/2600). Ebenfalls aus Fan-Hand stammt eine inoffizielle Umsetzung für Commodore Amiga aus dem Jahr 1993. Offizielle Fortsetzungen hat es nie gegeben – nach sieben tödlichen Herausforderungen war offenbar selbst den Entwicklern die Puste ausgegangen. Allerdings kann man Aztec Challenge im Nachhinein als Vorläufer der modernen Endless Runner-Spiele ansehen: Bereits 1982 hat Bonifacios Ur-Version im Prinzip das Konzept des endlosen Hindernis-Laufs etabliert, lange bevor Mobile Games wie Temple Run dieses Genre berühmt machten. Ein weiteres kurioses Detail: Die Verpackungsillustration weckte teils falsche Erwartungen. Sie zeigt eine Frau vor einem muskulösen Azteken mit Peitsche und erinnert an Abenteuerfilme à la Indiana Jones. Im Spiel jedoch gibt es keine weibliche Hauptfigur und auch keinen schwingenden Peitschenmann – hier war die Marketing-Abteilung also kreativ, vermutlich um Assoziationen an populäre Filme zu wecken. Solche freizügigen Cover-Interpretationen waren in den 80ern keine Seltenheit und sorgen heute für Schmunzeln.
Hinter Aztec Challenge standen maßgeblich zwei Köpfe: Robert T. Bonifacio, der Schöpfer des ursprünglichen Konzepts, und Paul Norman, der Autor der C64-Version (zugleich Programmierer, Designer und Komponist dieser Fassung). Beide Entwickler machten sich im Spielebereich noch einen Namen. Paul Norman hatte dank seiner Allround-Fähigkeiten – vom Coding bis zur Musik – eine Reihe von C64-Hits für Cosmi geschaffen. Neben Forbidden Forest (1983) und Aztec Challenge (1983) stammen von ihm unter anderem der Helikopter-Simulator Super Huey (1985) und dessen Fortsetzung, sowie das Action-Adventure Caverns of Khafka (1984) und der Tauch-Action-Titel Navy Seal (1989). Super Huey avancierte dabei mit über 2 Millionen verkauften Exemplaren zu Normans größtem Erfolg. In späteren Jahren wandte er sich interaktiven CD-ROM-Medien zu und arbeitete zeitweise als Berater für Sega, blieb der Spielebranche also treu. Robert „Tegel“ Bonifacio, der als Teenager mit Aztec Challenge ins Business einstieg, blieb ebenfalls in der Industrie aktiv. Er entwickelte in den 80ern weitere Spiele für Cosmi (z. B. wirkte er an Caverns of Khafka für Atari mit) und war Co-Designer des Strategiespiels Tegel’s Mercenaries (1992) – ein Titel, der augenzwinkernd seinen Namen trägt. Später arbeitete Bonifacio als Programmierer an bekannten Titeln wie Need for Speed: Hot Pursuit 2 (2002). Beide Entwickler haben mit Aztec Challenge ein Stück 80er-Jahre-Spielgeschichte geschrieben, das bis heute nostalgisch in Erinnerung geblieben ist.
Rückblickend ist Aztec Challenge vor allem für eines berüchtigt: seinen knallharten, aber motivierenden Schwierigkeitsgrad. Das Spiel nimmt keine Rücksicht auf Zartbesaitete – und genau das schätzen viele Retro-Fans daran. Es gehört zu jenen Klassikern, bei denen man nach jedem Scheitern die Zähne zusammenbeißt und murmelt: „Noch ein Versuch… diesmal schaffe ich es!“ Dieses Gameplay-Gauntlet mag manchen Spieler zur Verzweiflung getrieben haben, aber es hat sich damit auch unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt. Oder wie ein zeitgenössischer Tester treffend formulierte: Aztec Challenge ist eine Übung in Koordination, Konzentration und Geduld, verkleidet als Videospiel – und genau darin liegt sein legendärer Reiz.