Philips CM 100

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Als der Laser lesen lernte – Das Philips CM 100 und der Beginn des digitalen Zeitalters

1544 philips cm 100 primer reproductor comercializado de cdrom 1 1986Als Philips im Juli 1985 das externe CM 100 vorstellte, war der Gedanke ebenso schlicht wie revolutionär: die Lasertechnik der Audio-CDs für massenhaft digitale Daten zu nutzen und damit aus dem PC ein Recherchewerkzeug zu machen. Das komplette Paket – Laufwerk, ISA-Interface und eine silbergraue Kiste von etwa 36 × 15 × 25 cm – kam in den Handel und wurde oft zusammen mit Grolier’s Electronic Encyclopedia gezeigt; die Compute! rezensierte 1986 genau dieses Set und notierte trocken, dass der Player „übrigens keine Audio-CDs abspielen kann“ – eine frühe Klarstellung gegen falsche Erwartungen aus der Hi-Fi-Welt. Preislich lag das System bei 1.495 US-Dollar. Inflationsbereinigt entspricht das heute grob 4.500 US-Dollar bzw. rund 4.200 Euro – kein Schnäppchen, aber für Institutionen und Pioniere ein Türöffner in die „Silberling-Zukunft“.

Entstanden ist das CM 100 im Umfeld von Philips’ Tochter Laser Magnetic Storage International (LMSI). Die Ingenieure setzten nicht auf SCSI oder spätere ATAPI-Standards, sondern auf eine eigene, frühe LMSI-Schnittstelle mit separater ISA-Controllerkarte; spätere Controller wie die CM-260-Reihe waren, hübsch retrotypisch, sogar untereinander nicht immer kompatibel. Das ist aus heutiger Sicht sperrig, passte aber zum Charakter der Frühzeit: Man baute, was technisch machbar war, nicht was vielleicht in drei Jahren Standard sein würde. Genau so erklärt es ein Restaurator Jahrzehnte später: „This is a Philips CM-100, the first CD-ROM drive ever… released in 1985 and used an early version of the LSMI protocol.“ Übersetzt: „Das ist ein Philips CM-100, das erste CD-ROM-Laufwerk überhaupt… 1985 veröffentlicht und nutzte eine frühe Version des LSMI-Protokolls.“

Die Funktionsweise folgt dem „Yellow-Book“-Gedanken: Ein Laser tastet gepresste Pits und Lands ab, das Laufwerk liefert einen kontinuierlichen Datenstrom, beim CD-ROM im Modus 1 netto rund 150 KB/s – das, was später als „1ד in alle Prospekte wanderte. Damit bewegte sich das CM 100 in der damals üblichen Liga; frühe Systemlaufwerke wie DECs RRD50 gaben für die Klasse Zugriffszeiten in der Größenordnung von rund einer Sekunde an, was für Text- und Datenbank-CDs völlig ausreichte, für Multimedia der 90er aber noch zu lahm war. Die Kapazität einer CD-ROM wurde zunächst mit etwa 550 MB angegeben – ein mind-blowing Wert in einer Zeit, in der 20-MB-Festplatten Luxus waren. Ein Philips-Manager brachte die Vision damals auf den Punkt: „It’s 50 feet of bookshelves on one little disc.“ Übersetzt: „Das sind 15 Meter Bücherregal auf einer kleinen Scheibe.“

Weil 1985 noch niemand einen einheitlichen Dateisystem-Standard für CD-ROM festgelegt hatte, folgte das CM 100 logischerweise nicht der späteren ISO-9660-Norm. Stattdessen kam proprietäre Datenorganisation zum Einsatz, und der Zugriff erfolgte über eine spezielle Abruf-Software (bei Grolier das Knowledge Retrieval System). Erst ein Treffen im November 1985 im High Sierra Hotel in Nevada legte den Grundstein, aus dem 1986 das High-Sierra-Format und 1988 schließlich ISO 9660 wurde. ISO 9660 beschreibt, vereinfacht gesagt, wie Verzeichnisse, Dateinamen und Metadaten plattformübergreifend auf einer CD abgelegt werden, damit DOS, UNIX, Macintosh & Co. dieselben Scheiben lesen können – eine historische Befriedung im Wildwuchs der Frühjahre. „The resulting specification, called the High Sierra format… was standardized… as ISO 9660 in 1988.“ Übersetzt: „Die daraus resultierende Spezifikation, High Sierra, wurde… 1988 als ISO 9660 standardisiert.“

Am Markt startete das CM 100 als Pionier, nicht als Massenprodukt. Die Compute!-Rezension spricht von einem „Blick in die Zukunft“ – das trifft die Lage: Bibliotheken, Universitäten und Behörden testeten, Sammler träumten, Heimanwender warteten meist noch. In Japan waren bis 1990 bereits rund 300.000 CD-ROM-Drives verkauft; im Westen beschleunigte die Welle eher ab 1992/93, als „Multimedia-PCs“ samt Soundkarte, SVGA und günstigen, nun standardisierten Laufwerken in den Regalen standen. 1994 galt bereits als „Peak CD“, mit 17,5 Millionen Laufwerken und 590 Mio. $ Umsatz bei den Discs – das CM 100 hatte da längst den Stab an schnellere, kompaktere Modelle weitergereicht. Oder, wie es ein zeitgenössischer Beobachter formulierte: „In terms of pure mindshare, 1994 might have been the year of Peak CD.“ Übersetzt: „Was die Aufmerksamkeit angeht, war 1994 wohl das Jahr des CD-Gipfels.“

Leistungsdaten und Vergleich: Das CM 100 war ein externes, vollformatiges 5,25-Zoll-System mit proprietärem LMSI-Interface und ohne Audio-CD-Funktion – ein Detail, das viele überrascht hat. Die Netto-Datenrate lag bei 1× (≈ 150 KB/s), zufällige Zugriffe benötigten – je nach Controller und Firmware – deutlich länger als spätere ATAPI-Laufwerke. Konkurrenzprodukte tauchten ab 1986/87 auf: Denon, Sony, Hitachi, DEC und Toshiba brachten interne und externe Player mit teilweise SCSI- oder herstellerspezifischer Anbindung; die US-Behördenzeitschrift Administrative Notes zeigte 1989 eine ganze Collage der damals gängigen Modelle (u. a. Sony CDU-5002, Toshiba XM-2000A, JVC XR-R1000, DEC RRD50 und Philps/LMSI CM 100). Datenraten unterschieden sich praktisch nicht – 1× blieb 1× – Unterschiede lagen in Mechanik, Pufferung, Fehlerkorrektur und Anschlussstandard.

Anekdoten aus der Frühzeit erzählen zwei Seiten derselben Medaille: Einerseits die Begeisterung – Bill Gates schrieb 1986 im Vorwort zu CD-ROM: The New Papyrus über das „bemerkenswerte Potential“ des Mediums; andererseits die Praxis, die 1985/86 noch aus textlastigen Wissensscheiben bestand, weil PCs weder Grafik noch Sound in CD-Größe vernünftig darstellen konnten. Die Compute! zeigte das hübsch unprätentiös am Alltag: Man suche im Neun-Millionen-Wörter-Fundus nach „information age“ und kopiere den Absatz gleich auf Diskette oder Drucker – Bibliotheksroutine statt Lasershow. Oder, um Gates wörtlich (und übersetzt) zu zitieren: „Es ist diese bemerkenswerte Fähigkeit der CD-ROM-Scheibe, Video-Bilder, Audio, Daten und Code in beliebigen Kombinationen zu speichern, die ihr enormes Potential unterstreicht.“

Zu den Menschen hinter der Technik lässt sich gesichert sagen: Das CM 100 war ein Produkt des LMSI/Philips-Teams; einzelne Verantwortliche für genau dieses Laufwerk sind in den verfügbaren Primärquellen nicht sauber benannt. Sicher belegbar sind hingegen die Beiträge von Philips-Forschern zur CD-Grundlagentechnik, allen voran Kees Schouhamer Immink, der das EFM-Kanalkodierungsverfahren für die Audio-CD entscheidend prägte und später auch bei DVD/Blu-ray Spuren hinterließ. Geboren 1946 in Rotterdam, arbeitete er drei Jahrzehnte in den Philips-Laboratorien, erhielt internationale Auszeichnungen (u. a. IEEE Medal of Honor) und veröffentlichte eine lesenswerte technische Rückschau über die CD-Jahre. Das CM 100 steht damit in einer klaren Linie: Ohne diese Grundlagenforschung hätte es die „Daten-CD“ nicht gegeben, aber das konkrete Laufwerksdesign stammt aus der separaten LMSI-Produktentwicklung.

Was kostete die Herstellung? Philips veröffentlichte, soweit heute nachvollziehbar, keine belastbaren Stückkosten für das CM 100. Zeitgenössische Marktberichte betonten vielmehr den Preisdruck gegenüber Audio-Playern („warum zwei- bis dreimal so viel bezahlen, wenn die Mechanik ähnlich arbeitet?“). Für Discs selbst lassen sich Größenordnungen fassen: Mitte der 80er lagen Mastering- und Replikationskosten pro Scheibe bei Kleinmengen um 200–250 US-Dollar und fielen bei Stückzahlen > 1.000 auf 24–30 US-Dollar – ein Hinweis, wie sehr sich der Kostenhebel über Volumen bewegte. Für das Laufwerk darf man also von hohen frühen Fertigungskosten und geringen Serien ausgehen; eine seriöse Zahl jenseits dieser Einordnung wäre Spekulation – und die sparen wir uns.

Varianten und Abzweige: Direkt „für andere Computer“ bedeutete 1985 meist: andere Interfacekarten, nicht andere Laufwerke. LMSI-Controller gab es als ISA-Karten, teils fanden sie in OEM-Konfigurationen (z. B. Tandy-Systeme) ihren Weg ins Gehäuse. Ein „CM 100 für Konsolen“ existierte nicht; konsolenfähige CD-ROM-Erweiterungen kamen erst später – allen voran NECs PC-Engine CD-ROM² (Japan-Start 4. Dezember 1988) und Segas Mega-/Sega-CD (ab Dezember 1991). Diese nutzten eigene, auf Spieleanforderungen optimierte Subsysteme und haben mit LMSI-PC-Laufwerken nur das Medium gemein.

Und wie „erfolgreich“ war das CM 100 als Produkt? Als erstes seiner Art erfüllte es vor allem die Rolle des Dammbruchs: Es zeigte Verlagen, Behörden und Softwarehäusern, dass 550 MB strukturierter Text in Sekunden durchsuchbar wurden – Grolier füllte damit 1985/86 nur einen Bruchteil der Scheibe. Die große Welle hob später an, als ISO 9660 Ordnung schuf, Multimedia-PCs erschwinglich wurden und die Laufwerke standardisierter, kleiner und billiger in Massen vom Band fielen. Insofern ist das Urteil fair: technisch wegweisend, kommerziell im Nischenstart – ein Pionier, der den späteren Standard erst möglich machte.

Zum Schluss noch zwei Zitate, die die Ära rahmen – und die wir für heutige Leser übersetzen: „Available now for the IBM PC… this package is an exciting look at the future of information retrieval.“ (Compute!, Mai 1986). Übersetzt: „Jetzt für den IBM-PC erhältlich… dieses Paket ist ein aufregender Blick in die Zukunft der Informationsrecherche.“ Und aus der Retrospektive eines Tech-Journalisten: „In terms of pure mindshare, 1994 might have been the year of Peak CD.“ Übersetzt: „Nach reiner Aufmerksamkeit dürfte 1994 das Jahr des CD-Gipfels gewesen sein.“ Das CM 100 stand am Anfang dieser Kurve – sperrig, teuer, aber mit jener eigensinnigen Schönheit, die Pioniere haben: Man hört das Surren, sieht die Status-LED, denkt an 15 Meter Bücherregal – und lächelt.

 

Veröffentlicht in Peripherie n more.

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