Tangerine Computer Systems
Die Anfänge von Tangerine Computer Systems reichen bis in den Herbst 1979 zurück, als Dr. Paul Johnson und Barry Muncaster – beide einst bei Cambridge Consultants Ltd. tätig – beschlossen, ihre eigenen Ideen in einem eigenen Unternehmen umzusetzen. Mit Unterstützung von Familie und Freunden gründeten sie im Oktober 1979 vor den Toren Cambridges Tangerine. Johnson hatte bereits als Hardware-ingenieur an analogen Digitalwandlern getüftelt, während Muncaster wertvolle Erfahrungen im Platinen-layout gesammelt hatte. Ihr erster Erfolg war der TAN1648 VDU-Kit, der ihnen in Fachzeitschriften frühe Anerkennung einbrachte, doch das eigentliche Aushängeschild folgte nur wenige Monate später.

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Im Dezember 1979 stellte Tangerine den Microtan 65 vor – einen der ersten auf dem MOS Technology 6502A basierenden Einplatinen-Computer, der wahlweise als Bausatz für £75 oder fertig bestückt für £99 erhältlich war. Mit 750 kHz Takt, 1 KB RAM und 1 KB ROM lieferte er über einen Video-Generator und UHF-Modulator ein Bild auf jedem handelsüblichen Fernseher. Programme und Daten wurden per Hex-Keypad eingegeben, und die Monitor-Software TANBUG, gespeichert auf EPROM, bot grundlegende Debugging-Funktionen. Über eine einfache Interface-Schaltung konnte auch eine vollwertige ASCII-Tastatur angeschlossen werden. „Der TANGERINE Microtan 65 ist ein ausgezeichnetes Computersystem sowohl für den Labor- und Schulbetrieb als auch für alle, die das Programmieren erlernen möchten“, lobte eine Zeitschrift im Frühjahr 1981.
Besonders herausragend war die modulare Erweiterbarkeit: Über eine Rückplane konnten je nach Bedarf Platinen wie TANEX (für Kassette und serielle Schnittstelle), TANRAM (für zusätzlichen Arbeitsspeicher) oder bis zu fünf weitere EPROM-Module eingesteckt werden. Spätere Erweiterungsboards fügten serielle und parallele I/O-Module, größere Speicherausbaustufen und sogar Grafik-Controller hinzu. Damit konnten Anwender ihr System schrittweise ausbauen und schließlich in ein schrankmontierbares Rack integrieren – ein Merkmal, das Fachmagazine als echtes Alleinstellungsmerkmal hervorhoben. Bereits im Oktober 1981 würdigte Your Computer den Microtan 65 in einer dreiseitigen Besprechung und hob besonders die Skalierbarkeit und die ausgereifte Monitor-Software hervor. In Electronics & Computing hieß es gar, „ein Muss für jeden angehenden Ingenieur“, während sich Anwender in der Tangerine User Group zusammenschlossen, um Ideen, Tips und eigene Erweiterungen auszutauschen. Im Vergleich zu zeitgenössischen Systemen wie dem Acorn System 1 oder dem Nascom-1 – für dessen Video-Subsystem Tangerine bereits 1977 engagiert worden war – spielte der Microtan 65 in puncto Leistung und Erweiterungsmöglichkeiten in der ersten Liga. US-Systeme wie der Apple II lagen preislich deutlich höher, sodass Tangerine mit seinem erschwinglichen Angebot bei Hobbyisten und Bildungseinrichtungen gleichermaßen punkten konnte.

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Hinter den Kulissen wuchs das Team stetig: Paul Kaufman, später Software-Architekt des Oric-1, schrieb früh die TANBUG-Routinen und lieferte erste Anwendungsprogramme; Mike Rose, ein alter Weggefährte aus Sinclair-Zeiten, steuerte Test- und Demo-Software bei. Später stießen Mark Rainer und Nigel Penton Tilbury hinzu, ehe sich das Unternehmen umbenannte in Oric Products International, um im boomenden Heimcomputer-Markt Fuß zu fassen.
Neben dem Microtan 65 plante Tangerine weitere Modelle und Peripheriegeräte, die jedoch nie über den Prototypenstatus hinauskamen. Zeichnungen existierten für einen Z80-basierten Nachfolger („Microtan 2“ bzw. „Tangerine Tiger“), dessen Design an HH Electronics verkauft und dort als HH Tiger auf den Markt gebracht wurde – allerdings ohne kommerziellen Erfolg. Auch eine Prestel-Videotext-Adaption unter dem Label „Tantel“ mit eingebauter Tastatur und Modem sowie Drucker- und Diskettenlaufwerk-Schnittstellen wurden entworfen, blieben aber aus Kostengründen unverwirklicht.

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Mit dem Start des Oric-1 im Januar 1983 rückte Tangerine endgültig ins Rampenlicht der Heimcomputerszene. Die Erfahrungen aus dem Microtan-Projekt flossen in ein breites Hardware- und Software-Ökosystem ein. Bereits im November 1983 legte das Unternehmen mit dem Oric Atmos nach: Optisch markant durch das feuerrote Tastaturfeld bot der Atmos eine deutlich verbesserte Tastatur mit den üblichen QWERTY‑Tasten anstelle des Hex‑Keypads und ein überarbeitetes ROM, das viele der früheren Firmware‑Bugs beseitigte. Technisch basierte der Atmos weiterhin auf dem MOS 6502A mit 1 MHz, war jedoch ausschließlich mit 48 KB Arbeitsspeicher ausgestattet und besaß einen integrierten RF‑ und Composite‑Videoausgang sowie ein verbessertes Audio‑Subsystem. Anwender berichteten, dass Spiele und Demos schneller luden und flüssiger liefen – eine spürbare Steigerung gegenüber dem Oric‑1. Fachmagazine lobten die Stabilität und den Komfort: „Der Oric Atmos macht aus einem grandiosen Einsteigercomputer endlich einen Alltagsbegleiter für ernsthafte Anwender.“ Dank der Kompatibilität zum Oric‑1 ließ sich nahezu das gesamte Softwareangebot weiter nutzen, während neue Programme die speziellen Verbesserungen des Atmos gezielt ausnutzten. Doch auch der Atmos konnte den Druck durch Sinclair und Commodore nicht nachhaltig verringern, zumal die geplanten Peripheriegeräte wie das 3‑Zoll‑Diskettenlaufwerk und zusätzliche Joystick‑Interfaces erst spät in kleiner Stückzahl erschienen. Die Euphorie des Atmos verblasste ebenso rasch wie die des Vorgängers.
Die letzten Jahre von Tangerine/Oric waren geprägt von schwindenden Mitteln, zunehmendem Druck durch die Konkurrenz und einigen unglücklichen Ereignissen. Nachdem 1983 mit dem Oric‑1 zunächst rund 160.000 Geräte im UK sowie weitere 50.000 in Frankreich abgesetzt worden waren, währte die Begeisterung nur kurz. Sinclair hatte mit dem ZX Spectrum dank des frühen Marktstarts, einer umfangreichen Software‑Bibliothek und geschicktem Marketing einen entscheidenden Vorsprung.
Im Oktober 1983 zerstörte ein Brand in der Produktionsstätte von Kenure Plastics in Berkshire etwa 7.000 Oric-1-Geräte; zudem gingen 15.000 fertige ROMs und wichtige Ersatzteile verloren. Währenddessen verlangte der Finanzgeber Edenspring ab Frühjahr 1984 stets neue Kapitalrunden, während angekündigte Folge¬modelle – ein IBM-kompatibles System, eine MSX-Variante und das 16-Bit-Projekt Stratos/IQ164 – zu spät oder nur als unvollständige Prototypen vorlagen. Am 2. Februar 1985 zog Edenspring den Stecker und meldete Oric International insolvent; die Software¬tochter Tansoft folgte im Mai 1985. Ein letzter Versuch unter der französischen Firma Eureka mit Stratos und Telestrat endete im Dezember 1987 in der endgültigen Insolvenz von Oric International.
Was wurde aus den Köpfen hinter Tangerine? Dr. Paul Johnson zog sich nach der Umfirmierung rasch in beratende Tätigkeiten zurück und arbeitete erneut für Cambridge Consultants sowie in diversen Technologie- und Medizintechnik-Projekten. Barry Muncaster, bis zur letzten Insolvenz Vorstandsdirektor, verließ den UK-Computermarkt, arbeitete einige Jahre als Führungskraft in der US-Biotechnologiebranche und kehrte später nach Großbritannien zurück. Mark Rainer und Nigel Penton Tilbury, die sich schon früh aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hatten, konzentrierten sich wieder auf eigene Beratungs- und Entwicklungsaufträge im Elektronikbereich. Paul Kaufman schließlich wechselte ins Oric-Team, beteiligte sich an weiteren Hardware-Startups und blieb der Retro-Community als Emulator- und Hobby-Entwickler eng verbunden.