128 Kilobyte Hoffnung – Wie Sinclair mit dem Spectrum 128 sein Erbe retten wollte

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Als der Sinclair ZX Spectrum 128 im Herbst 1985 erstmals auf der Messe SIMO in Barcelona gezeigt wurde, war er das Resultat eines außergewöhnlichen internationalen Gemeinschaftsprojekts – und das letzte große Aufbäumen eines britischen Computerherstellers, der einst den Heimcomputermarkt revolutioniert hatte. Sinclair Research arbeitete eng mit der spanischen Firma Investrónica, einer Tochter der Kaufhauskette El Corte Inglés, zusammen. Der Grund war schlicht: Die spanische Regierung hatte gerade eine Luxussteuer auf Computer mit weniger als 64 KB Speicher eingeführt. Sinclair musste also ein neues Modell mit mindestens 128 KB RAM anbieten, um den dortigen Markt nicht zu verlieren. Das Ergebnis war ein Rechner, der äußerlich vertraut wirkte, aber innerlich ein neues Kapitel der Spectrum-Reihe einläutete.
Das Herzstück des Spectrum 128 blieb der bewährte Zilog Z80A-Prozessor mit 3,5 MHz, doch erstmals kamen 128 Kilobyte RAM zum Einsatz – doppelt so viel wie je zuvor. Da der Prozessor nur 64 KB direkt adressieren konnte, nutzte man Bank-Switching, um die restlichen 80 KB in acht Blöcken zu je 16 KB dynamisch zuzuschalten. Das erweiterte ROM (nun 32 KB) enthielt ein neu gestaltetes Sinclair BASIC, das Befehle wie PLAY für die Musikwiedergabe oder SPECTRUM zum Umschalten in den klassischen 48K-Modus enthielt. Letzteres erlaubte es, ältere Software weiterhin problemlos zu starten – ein Umstand, den viele Magazine positiv hervorhoben. Sinclair User schrieb 1986 begeistert, dass „der 128K vollständig kompatibel sei und alle bisherigen Programme ohne Anpassung laufe“.
Ein ganz neues Erlebnis bot der Ton. Der General Instrument AY-3-8912 Soundchip lieferte drei Stimmen mit programmierbarer Lautstärke und Tonhöhe – ein riesiger Fortschritt gegenüber dem ein-Bit-Beep-Sound der früheren Modelle. Die Zeitschrift SUM (Januar 1986) fasste es treffend zusammen: „Im Innern des Geräts finden sich die beiden Hauptänderungen: 128 KB RAM und ein General Instruments AY-3-8912-Soundchip, der erstaunliche Klänge erzeugen kann.“
Die Grafikausgabe blieb bei 256 × 192 Pixeln mit dem bekannten Attributsystem von 8 × 8 Pixelblöcken. Damit konnten zwar nur 15 Farben (sieben Grundfarben plus helle Varianten und Schwarz) dargestellt werden, doch das war für den Spectrum-Charme typisch – seine Limitierungen wurden von den Entwicklern oft zu Kunstformen erhoben. Das Byte Magazine bemerkte rückblickend: „Die Grafik des Spectrum 128 ist weniger eine technische Einschränkung als eine kreative Herausforderung, der sich Programmierer mit britischem Pragmatismus stellen.“
Das Design des Rechners stammte diesmal vom chilenischen Ingenieur Guillermo Capdevila, der Rick Dickinsons ursprüngliches Spectrum-Plus-Gehäuse überarbeitete. Der auffällige Aluminiumkühlkörper auf der rechten Seite – nötig, um den neuen Spannungsregler zu kühlen – verlieh dem Computer seinen Spitznamen „Toast Rack“. In Spanien wurde das Gerät zudem oft mit einem separaten numerischen Zusatzblock verkauft.
Die interne Struktur war neu organisiert. Der Speicher war in zwei 64-KB-Bänke aufgeteilt, das BASIC belegte ein ROM-Segment von 32 KB, und das System besaß erstmals eine kleine „RAM-Disk“, auf die BASIC-Programme zugreifen konnten. Über die neuen Anschlüsse – RS-232, MIDI, RGB-Video und den klassischen Kassettenport – ließ sich der Spectrum 128 direkt mit Monitoren und Musikinstrumenten verbinden. Auf der Präsentation in Barcelona wurde demonstriert, wie ein Spectrum über MIDI ein Yamaha-Keyboard steuerte – ein in der Heimcomputerwelt ungewöhnlicher Anblick.
An der Entwicklung beteiligt waren drei Ingenieure, die Sinclair später verlassen sollten: Martin Brennan, John Mathieson und Ben Cheese. Sie gründeten danach Flare Technology, deren Konzepte schließlich in den Atari Jaguar einflossen. Brennan und Mathieson waren maßgeblich an der Elektronikarchitektur beteiligt, während Capdevila das Gehäuse realisierte.
In Großbritannien erschien der ZX Spectrum 128 im Januar 1986 zum Preis von £ 179, was inflationsbereinigt rund 550 € entspricht. In Spanien hatte der Verkauf bereits im September 1985 begonnen, dort kostete das Gerät 44 250 Peseten, etwa 266 € nominal. Das Spectrum-Betriebssystem blieb weitgehend kompatibel mit älteren Versionen, was laut Sinclair User „den Übergang angenehm sanft“ machte. Dennoch sah die britische Presse das Gerät mit gemischten Gefühlen. Computer and Video Games schrieb: „Der 128K ist technisch beeindruckend, aber er kommt spät – zu spät, um Sinclairs Probleme zu lösen.“
In der Tat war Sinclair Research zu diesem Zeitpunkt finanziell angeschlagen. Die Flops des Sinclair QL und des elektrisch betriebenen C5 hatten die Firma in Schieflage gebracht. Der Spectrum 128 war daher weniger ein strategischer Neuanfang als der Versuch, das Ruder noch einmal herumzureißen. Ein BBC-Reporter beschrieb die Produktvorstellung mit ironischem Unterton: „Sir Clive Sinclair präsentierte den neuesten Spectrum, prunkvoll mit eingebautem Tape-Loader und obszön viel Speicher – 128 KB!“ Die britische Öffentlichkeit liebte den Humor, doch der Verkaufserfolg blieb verhalten.
Im Alltag erwies sich der Spectrum 128 als solider Allround-Heimcomputer. Der neue Soundchip und die größere Speichermenge ließen aufwendigere Spiele und Musiksoftware zu, die Nutzerbasis wuchs vor allem in Spanien, wo das Gerät über 100 000 Mal verkauft wurde. In Großbritannien dürften nach zeitgenössischen Schätzungen zwischen 200 000 und 250 000 Einheiten abgesetzt worden sein, bevor die Serie 1986 von Amstrad übernommen und als ZX Spectrum +2 fortgeführt wurde. Zusammen mit den Nachfolgern erreichte die 128-Familie europaweit rund 800 000 verkaufte Geräte, ein respektables Ergebnis für ein Modell am Ende der Sinclair-Ära.
Nicht alles war perfekt. Manche Anwender klagten über Hitzeprobleme durch den Kühlkörper, andere über das Fehlen eines eingebauten Lautsprechers. ZX-Appeal schrieb im Januar 1986 süffisant: „Der Spectrum 128 hat alles, was man sich wünscht – außer vielleicht einen Lautsprecher und ein bisschen Platz für die Handballen.“ Trotzdem galt das Gerät in der Fachpresse als logischer Höhepunkt der Spectrum-Reihe.
Rückblickend bleibt der ZX Spectrum 128 ein faszinierender Übergangscomputer. Er war kein völlig neues System, sondern eine raffinierte Evolution – ein „Spectrum für Erwachsene“. Wie der Entwickler Martin Brennan später sagte: „Wir wussten, dass der 128 kein Wundermittel sein würde. Aber er sollte zeigen, dass Sinclair noch lebte – und dass man in Cambridge immer noch Ideen hatte.“
Und genau das tat er. Der 128K Spectrum markierte das Ende einer Ära und zugleich den Anfang eines Mythos. Er verband die charmante Einfachheit der frühen Achtziger mit dem Ehrgeiz der kommenden Computer-Generation – und bleibt bis heute eines jener Geräte, bei denen man, wenn man die Reset-Taste drückt, fast das britische Selbstbewusstsein der Home-Computer-Zeit hören kann: ein aufmunterndes beep, gefolgt von 128 Kilobyte Hoffnung.