Franklin ACE 100
Wenn ich Dich, werter Leser, fragen würde, ob Du irgendwann einmal in Deinem Leben ein Programm ohne Zustimmung des Urhebers kopiert hast, würdest Du wahrscheinlich mit einem verlegenen Lächeln zustimmen, denn höchstwahrscheinlich hast Du die Zeit miterlebt und möglicherweise dank Programmen wie bspw. X-Copy auf dem Amiga ausgiebig davon Gebrauch gemacht (Nur zur Beruhigung: die Verjährungsfrist ist hier schon längst vorbei). Das nicht nur der private Heimanwender sich das Leben etwas vereinfachen wollte, ist daraus sicherlich erklärlich und beruhte auch auf der Tatsache, dass es noch bis Anfang der 1980er keine wirklichen Präzedenzfälle existierten. Dies sah auch der US-amerikanische Hersteller Franklin Computer Corporation so und präsentierte 1982 die ACE Modellreihe, die absolut Apple II kompatibel waren.
Technisch gesehen war der ACE 100 keine Nachbildung, sondern eine exakte Kopie des Apple II Plus: Franklin hatte den ROM-Inhalt von Apples System, inklusive BASIC-Interpreter, Monitorprogramm und Betriebssystem, Byte für Byte übernommen. Dies führte später zum wegweisenden Rechtsstreit Apple Computer, Inc. v. Franklin Computer Corp., der die Rechtsauffassung über Software-Urheberrecht nachhaltig prägte. Im Inneren arbeitete wie beim Original ein MOS Technology 6502 mit 1,023 MHz. Der 8-Bit-Prozessor war der zentrale Baustein zahlreicher Heimcomputer der Zeit, von der Atari-8-Bit-Serie bis zum Commodore 64. Er konnte direkt auf bis zu 64 KB RAM zugreifen, was dem ACE 100 voll zur Verfügung stand.
Die Grafikfunktionen entsprachen exakt dem Apple II Plus: Textmodus mit 40×24 Zeichen, Low-Resolution-Grafik mit 40×48 Bildpunkten bei 15 Farben plus schwarz, High-Res mit 280×192 bei bis zu sechs gleichzeitigen Farben, abhängig von den NTSC-Farbphasen. Für Ton sorgte wie beim Original ein 1-Bit-Speaker, der über Software getaktet wurde – komplexe Musik war nur durch gezieltes Pulsweitenmodulieren möglich.
Das ROM des ACE 100 enthielt eine 1:1-Kopie von Apples Integer BASIC (entwickelt von Steve Wozniak) sowie Apples Betriebssystem DOS 3.3. Der Computer unterstützte alle Apple-II-Platinen und Softwaretitel, da er vollständig signal- und softwarekompatibel war. Die Anschlussmöglichkeiten umfassten Composite-Video, Gameport, einen Erweiterungsbus mit acht Slots sowie Diskettenanschluss. Als Massenspeicher kamen externe 5,25-Zoll-Diskettenlaufwerke zum Einsatz – meist 140 KB pro Diskette –, häufig Apple-kompatible Nachbauten von Franklin selbst.
Ursprünglich wurde der ACE 100 als sogenannte „Bare Board“-Lösung vertrieben – ein vollständig bestücktes Mainboard ohne Gehäuse, Tastatur oder Netzteil. Zielgruppe waren technisch versierte Nutzer, Schulen und OEM-Kunden, die den Rechner in bestehende Apple-II-kompatible Gehäuse oder selbstgefertigte Lösungen einbauen wollten. Dennoch kam es im Handel bald zu Verwirrungen: Einige Dritthändler und Systemhäuser verkauften den ACE 100 auch als Komplettgerät, indem sie das Board mit Gehäuse, Tastatur und Netzteil kombinierten. Diese Varianten wurden teils noch unter dem Namen ACE 100 angeboten, obwohl der erste offiziell von Franklin vermarktete Komplettrechner auf Basis desselben Boards bereits ACE 1000 hieß.
Der Preis des ACE 100 als Mainboard lag bei rund 499 US-Dollar, was inflationsbereinigt ca. 1.475 Euro im Jahr 2025 entspricht – deutlich günstiger als der Apple II Plus mit etwa 1.195 Dollar (über 3.400 Euro heute). Diese Preisstrategie machte den ACE 100 besonders bei Bildungseinrichtungen beliebt. Presseberichte zur Veröffentlichung waren gespalten. Während Magazine wie Creative Computing das Gerät als „kostengünstigen Hoffnungsträger für Bildungseinrichtungen“ bezeichneten, schrieb BYTE Magazine im Oktober 1982: „Ein guter Computer, doch moralisch fragwürdiger Ursprung.“ Besonders Apple-Fans sahen in Franklin einen Trittbrettfahrer.
Etwa 20.000 Einheiten wurden laut interner Verkaufszahlen von Franklin bis Anfang 1983 ausgeliefert. Ein Lehrer aus Kalifornien baute mit Schülern Plexiglas-Gehäuse um ACE-Boards – ein Schulprojekt, das zum halblegalen Apple-Klonlabor wurde. „Ich hätte Apple lieber gekauft, aber mein Budget erlaubte das nicht. Der Franklin tat, was ich brauchte – Punkt“, sagte er rückblickend in einem Interview mit Popular Computing.
Apple war selbstredend kein allzu großer Freund der ACE Reihe und klagte bereits zur Veröffentlichung auf Urheberrechtsverletzung. Der Rechtsstreit Apple v. Franklin war ein historisches Verfahren in den USA, das maßgeblich die Rechtsgrundlage für den Schutz von Software festlegte. Franklin argumentierte, dass ROM-Code keine „literarischen Werke“ im Sinne des Urheberrechts seien und deshalb nicht geschützt werden könnten. Die Entscheidung des Berufungsgerichts (3rd Circuit) im Jahr 1983 war bahnbrechend: Das Gericht erklärte, dass auch Maschinencode in ROMs urheberrechtlich schützbar ist, selbst wenn dieser nicht direkt lesbar ist. Dies war das erste Mal, dass ein US-Gericht urheberrechtlichen Schutz für firmwarebasierte Software bestätigte.
Das Verfahren zog sich bis 1988 hin. Franklin verlor in allen wesentlichen Punkten. Die Firma musste den Vertrieb der betroffenen Produkte einstellen oder neu designen, was ihren Marktanteil stark schrumpfen ließ. Franklin bot später den ACE 500 mit neuem ROM und eigener Softwarearchitektur an – jedoch ohne die vollständige Kompatibilität, die den ACE 100 so erfolgreich gemacht hatte. Gegenüber direkten Konkurrenten wie dem Commodore PET oder dem Tandy TRS-80 war der Franklin ACE 100 grafisch unterlegen, aber durch seine Apple-Kompatibilität deutlich vielseitiger. Für Bastler war er eine kostengünstige Alternative – für Apple ein Dorn im Auge.
Der ACE 100 war also mehr als nur ein Plagiat. Er war ein politischer Computer, ein juristisches Exempel, ein Spiegel der frühen 80er-Jahre zwischen Innovation, Nachbau und der Suche nach Standards. Heute ist er ein Sammlerstück – gerade weil er als einziger Computer in US-Geschichte vor Gericht tatsächlich als urheberrechtswidrig verboten wurde, obwohl er technisch brillant umgesetzt war.