FTL Games
FTL Games war ein kleines, aber äußerst einflussreiches Softwareunternehmen aus Kalifornien, das mit seinem dritten Produkt die Landschaft der Computerrollenspiele für immer verändern sollte. Ursprünglich firmierte die Firma unter dem Namen Software Heaven, gegründet von Wayne Holder und Russ Boelhauf in San Diego. Anfangs konzentrierte man sich auf sogenannte Utility-Software wie Rechtschreibprüfprogramme, die teils im Eigenvertrieb, teils im Auftrag anderer Firmen vertrieben wurden. Doch Wayne Holder hatte schon früh den Wunsch, neben der „seriösen“ Software auch Unterhaltungstitel zu entwickeln. Um diesem Vorhaben einen strukturellen Rahmen zu geben, rief er die Abteilung FTL ins Leben, deren Name für „Faster Than Light“ stand – ein passender Titel für ein Studio, das bald zum Pionier der Echtzeit-Rollenspiele werden sollte.
Zu den ersten Mitarbeitern zählte Bruce Webster, ein alter Schulfreund von Wayne Holder, der auch prompt die Leitung der neuen Spieleabteilung übernahm. Mit „SunDog: Frozen Legacy“ erschien 1984 das erste Spiel des Studios, zunächst für den Apple II, nur wenige Wochen später gefolgt von einer verbesserten Version 1.1. SunDog war ein ambitioniertes Handels- und Abenteuerspiel im Science-Fiction-Setting, das durch seine offene Spielwelt, Kampfelemente und eine relativ komplexe Spielmechanik hervorstach. Es war bemerkenswert stabil und ambitioniert für seine Zeit – und das in einer Ära, in der Patchkultur und Updates noch kein Standard waren. Als SunDog im Dezember 1985 für den Atari ST portiert wurde, erhielt es eine völlig überarbeitete Grafik und mehrere spielmechanische Verbesserungen. Die Portierung übernahm der frisch zu FTL gestoßene Doug Bell, der zuvor gemeinsam mit Andy Jaros am Titel „Crystal Dragon“ gearbeitet hatte – einem Projekt, das später als „Dungeon Master“ Weltruhm erlangen sollte. Bruce Webster dagegen verließ das Unternehmen kurz nach der Fertigstellung von SunDog – er war, wie er später zugab, von der intensiven Entwicklung ausgelaugt und wollte sich von der Branche zurückziehen.
Noch bevor sich FTL ganz auf Dungeon Master konzentrierte, erschien 1987 mit „Oids“ ein weiteres Spiel für den Atari ST, das auf der Physik klassischer Trägheitssteuerung basierte, wie man sie aus Titeln wie Gravitar oder Thrust kannte. Spieler steuerten ein kleines Raumschiff, das Roboter aus Gefangenschaft befreien sollte. Trotz minimalistischer Handlung entwickelte sich Oids, besonders in Großbritannien, zu einem Kultspiel. Die spätere Macintosh-Version hingegen blieb hinter den Erwartungen zurück, obwohl sie auf der MacWorld 1990 mit fünf Sternen bewertet wurde – mangels Marketings geriet sie schnell in Vergessenheit.
Inzwischen widmete sich das Studio wieder „Crystal Dragon“, dem ursprünglichen Projekt von Doug Bell und Andy Jaros. Das Spiel wurde über fünf Jahre hinweg entwickelt, wobei allein Andy Jaros über ein Jahr mit der grafischen Gestaltung verbrachte. Besonders die Anpassung an die Hardware des Atari ST war laut Jaros eine gewaltige Herausforderung. „Hätte ich den ST damals gekannt, wäre das Ganze in wenigen Monaten fertig gewesen“, bemerkte er später. Beeindruckend war die Komprimierungsleistung der Engine: Obwohl Jaros über ein Megabyte an Grafikdaten beisteuerte, passte das fertige Spiel auf eine einzelne 400-Kilobyte-Diskette. Wayne Holder erklärte in einem Interview: „Ein Großteil der Entwicklungszeit floss nicht in Inhalte, sondern in intelligente Datenkompression.“
Das Ziel war von Anfang an klar: Dungeon Master, wie Crystal Dragon nun hieß, sollte mit den großen Vorbildern Ultima, Wizardry und The Bard’s Tale konkurrieren – und sie, wenn möglich, übertreffen. Inspiriert von den Stärken dieser Klassiker, schufen Bell und Jaros ein System, das die Rollenspielmechanik grundlegend erneuerte. Die Dungeon-Welt war in Echtzeit, statt in Runden erlebbar. Dies war zwar nicht neu, wurde doch bereits Dungeons von Daggorath 1982 auf dem TRS-80 Color Computer in dieser Weise präsentiert. Was Dungeon Master jedoch besonders machte, war die vollständige Integration von Echtzeitkämpfen, Bewegungen, Magie und Sound in einem 3D-ähnlichen Dungeon, zusammen mit Maussteuerung und einem Skillsystem, das auf Anwendung beruhte. Zaubersprüche wurden über Symbolkombinationen aus den vier Elementen konstruiert, Fähigkeiten durch wiederholte Nutzung verbessert statt über punktuelle Levelaufstiege. Die Benutzeroberfläche war vollständig mit der Maus bedienbar, und das Sounddesign – samt dynamischer Lichteffekte – sorgte für ungeahnte Immersion. Die Geschichte der Spielwelt, aufgeschrieben von Nancy Holder, Waynes Frau, wurde im Handbuch ausgiebig beschrieben und lieferte eine dichte Atmosphäre. Nancy Holder machte sich später auch als Autorin von Romanen zu Serien wie „Buffy“, „Sabrina“ und „Smallville“ einen Namen.
Als Dungeon Master 1987 erschien, war der Effekt unmittelbar spürbar. Das Spiel verkaufte sich allein auf dem Atari ST über 40.000 Mal im ersten Jahr – eine gigantische Zahl für die damalige Zeit. Internationale Portierungen erschienen unter anderem für Amiga, SNES, PC-9801, FM Towns, TurboGrafx-16 und Apple IIgs. Eine Fassung für das CDTV wurde nie veröffentlicht, da Commodore notwendige Informationen zum Speichermanagement verweigerte. Eine Macintosh-Version wurde zwar entwickelt, aber nie veröffentlicht – Gründe hierfür sind bis heute unbekannt. Erwähnenswert ist auch die Amiga-Version, die als erstes Spiel weltweit über 3D-Soundeffekte verfügte.
Dungeon Master wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem als „Spiel des Jahres“. 1989 folgte mit „Chaos Strikes Back“ ein Add-on, das sogar ohne das Hauptspiel lauffähig war – eine Seltenheit zu jener Zeit. Nur die PC-Version erhielt dieses Add-on nicht. Wie bei allen bisherigen Spielen stammte auch das Box-Cover von David R. Darrow, der Andy Jaros (an der Fackel) und seine Frau Andrea Darrow (der Held im Hintergrund) als Modelle nutzte – letzterer wurde eigens aus einem Fitnessstudio rekrutiert.
Angesichts dieses Erfolgs war eine Fortsetzung unausweichlich. Während ein Team an der vereinfachten Fassung „Dungeon Master: Theron’s Quest“ für die TurboGrafx arbeitete, begann die Hauptentwicklung an „Dungeon Master II“. Wie schon bei früheren Projekten zog sich die Entwicklung jedoch über Jahre hin – sechs Jahre, um genau zu sein. 1993 erschien das Spiel zunächst exklusiv in Japan, der Rest der Welt musste bis 1995 warten. Die Portierung gestaltete sich deutlich schwieriger als beim ersten Teil, nicht zuletzt wegen der stark voneinander abweichenden Hardware: Während der Amiga mit 32 Farben arbeitete, verfügte ein VGA-PC über 256 Farben. Erschienen ist das Spiel unter anderem für Mega-CD, FM Towns und PC-98.
Nach der Veröffentlichung von Dungeon Master II wurde es still um FTL. Die Entwickler verloren sich in langen Entwicklungszyklen, und 1996 wurde ohne große Ankündigung die Arbeit an neuen Projekten eingestellt. Seither gab es keine Lebenszeichen mehr von Faster Than Light. Ihre Reise, so schien es, hatte sie an ihr Ende geführt – mit Lichtgeschwindigkeit ins Nichts. Doch ihr Vermächtnis lebt weiter: Dungeon Master gilt bis heute als eines der innovativsten Rollenspiele aller Zeiten. Doug Bell und Andy Jaros werden in Fankreisen bis heute verehrt. Und wenn man bedenkt, dass Ultima Underworld, System Shock und sogar frühe Elder-Scrolls-Titel wie Arena von FTLs Werk beeinflusst wurden, dann kann man mit Fug und Recht behaupten, dass ein kleines Studio aus Kalifornien die Spielgeschichte nachhaltig geprägt hat.