Hewlett-Packard HP-65

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Hewlett-Packard HP-65

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Von HP_65.jpg: teclasorg on flickrderivative work: Pittigrilli (talk) - HP_65.jpg, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=9710858

Der Hewlett-Packard HP-65, im Jahr 1974 eingeführt, war ein revolutionäres Gerät, das zwar äußerlich als Taschenrechner daherkam, in Wahrheit jedoch der weltweit erste programmierbare Taschenrechner mit magnetischem Massenspeicher war. Der HP-65 markierte einen echten Meilenstein in der Geschichte der mobilen Rechentechnik und leitete eine neue Ära ein – nicht nur für Hewlett-Packard, sondern für die gesamte Rechnerindustrie.

Die Geschichte des HP-65 beginnt bei HPs legendärer Calculator Division in Cupertino, Kalifornien, unter der Leitung von Bill Hewlett und Dave Packard, den beiden Unternehmensgründern. Die technische Projektleitung übernahm Tom Osborne, der schon maßgeblich am HP-35 beteiligt gewesen war – dem ersten wissenschaftlichen Taschenrechner überhaupt. Der HP-65 sollte nun ein Gerät werden, das nicht nur Zahlen verarbeiten, sondern auch ganze Programme speichern und ausführen konnte – ein „Personal Computer“ im Taschenformat, Jahre bevor dieser Begriff überhaupt in Umlauf kam. Osborne selbst beschrieb das Projekt später als „das komplexeste und aufregendste Produkt, das wir in den 70er Jahren je versucht haben“, und in der Retrospektive war der HP-65 nicht weniger als der Urahn aller heutigen programmierbaren Taschencomputer.

Der HP-65 verwendete einen speziell entwickelten, proprietären CMOS-Prozessor von HP selbst, der eng mit dem damaligen Logikdesign der HP-9800-Serie verwandt war. Eine „CPU“ im klassischen Sinn war es nicht – vielmehr bestand die Recheneinheit aus einem diskreten Mikroprogramm-Kontrollwerk, das speziell auf das RPN-Bedienschema (Reverse Polish Notation) und 19-stellige BCD-Arithmetik zugeschnitten war. Das Gerät besaß registerbasierten Speicher, und der Programmspeicher war streng limitiert: 100 Schritte, aufgeteilt in einem eigenen microcodebasierten Format, das spezielle Token für jede Funktion verwendete – zum Beispiel wurde die Tastenfolge SIN nicht als ASCII, sondern als 2-Bit-Kode gespeichert, um Speicherplatz zu sparen. Für damalige Verhältnisse war das eine Meisterleistung der Miniaturisierung, die selbst Großrechnerentwickler ins Staunen versetzte.

Was den HP-65 von allen Taschenrechnern seiner Zeit abhob – und warum er mit Recht als bahnbrechend gilt – war das integrierte Magnetkartenlaufwerk. Dieses konnte kleine, etwa daumengroße Karten einlesen und beschreiben, mit denen Programme gespeichert und wieder abgerufen werden konnten – ein Feature, das bis dahin nur stationäre Computer mit Magnetband oder Lochkarten besaßen. Die Karten wurden über einen Schlitz oben am Gehäuse eingeschoben und mit einem simplen Motorstreifen eingezogen. Jeder Streifen konnte zwei Programme speichern, eines auf jeder Seite. Das System war so gestaltet, dass man z. B. eigene numerische Routinen, Integrationsverfahren oder Maschinenbauformeln direkt unterwegs programmieren und wiederverwenden konnte – etwas völlig Neues im Jahr 1974.

Der ursprüngliche Verkaufspreis betrug 795 US-Dollar, was inflationsbereinigt im Jahr 2025 etwa 4.370 Euro entspricht. Damit war der HP-65 eindeutig ein Gerät für Profis – Ingenieure, Wissenschaftler, Raumfahrttechniker. Und tatsächlich wurde der HP-65 sogar von der NASA auf Apollo- und Skylab-Missionen mitgeführt. Eine Pressemitteilung von HP im Jahr 1975 betonte stolz: „Der HP-65 ist nun weltraumtauglich und wird als rechnergestütztes Backup an Bord für die Missionsplanung eingesetzt..“ NASA-Ingenieur Bruce P. Smith sagte dazu: „Es war das einzige Gerät unseres Vertrauens, das klein genug zum Tragen und intelligent genug war, um die Flugbahn neu zu berechnen, wenn die Bordsysteme ausfielen.“

Der HP-65 hatte ein rotes LED-Display mit 15 Stellen, kein Grafikdisplay, keine Farben, keine Auflösung im heutigen Sinne. Der Bildschirm bestand aus Segmentanzeigen, wie sie in Digitaluhren üblich waren. Eine besondere Raffinesse war der dynamische Scrolling-Effekt: Bei langen Zahlen oder Programmbefehlen scrollte die Anzeige von rechts nach links, um den gesamten Inhalt anzuzeigen – ein Kunstgriff, der durch ausgeklügeltes Timing im Controller-Chip ermöglicht wurde.

Ein Betriebssystem im klassischen Sinne besaß der HP-65 nicht – seine „Firmware“ war ein Satz von 51 festen mathematischen Funktionen plus einem interpreterähnlichen Mikrocode, der die Programmschritte ausführte. Die Bedienung erfolgte über 35 Tasten, die je nach Modus bis zu drei Funktionen aufwiesen. Durch die Nutzung von Tastenkombinationen konnte der Nutzer zwischen numerischen, programmierbaren und Steuerbefehlen umschalten. Auch eine Sprungbefehlsstruktur mit Labels und Subroutinen war implementiert – quasi ein Mini-BASIC ohne Texteditor.

Der Speicher bestand aus 9 Speicherregistern (R0 bis R8) plus einem Stack mit vier Ebenen (X, Y, Z, T), wie im RPN-Design üblich. Massenspeicher im heutigen Sinn war das Magnetkartenlaufwerk – langsamer als RAM, aber mobil und zuverlässig. Externe Anschlüsse hatte der HP-65 keine. Peripheriegeräte waren keine vorgesehen – das Gerät war vollständig stand-alone, kein Interface, keine Netzwerkanbindung, kein Netzteilanschluss. Strom kam ausschließlich über einen integrierten Akku, der allerdings als notorisch fehleranfällig galt. Viele Besitzer der ersten Serien berichten davon, dass die Ladeeinheit überhitzte und die Nickel-Cadmium-Zellen beschädigte. Ein Service Bulletin von HP aus dem Jahr 1975 warnte davor, das Netzteil bei entnommenem Akku anzuschließen – ein seltener Designfehler für ein ansonsten fast perfektes Gerät.

Größe und Gewicht des HP-65 waren für damalige Verhältnisse sensationell: mit 13 × 8 × 3 cm und rund 300 Gramm war das Gerät wirklich „tragbar“, auch wenn es im Jackett ein ziemlicher Klotz blieb. Der Soundchip bestand aus einem einzigen Piezo-Piepser, der bei Fehlern oder Tastentönen ein einfaches Signal ausgab. Musik, Sprache oder gar Soundausgabe im heutigen Sinne gab es selbstverständlich nicht.

Trotz des stolzen Preises verkaufte HP in den ersten drei Jahren über 100.000 Einheiten – was für ein Gerät dieser Klasse, ohne Spiele, ohne Bildschirm, ohne Tastatur im klassischen Sinn, eine gigantische Zahl war. Die US-Zeitschrift BusinessWeek nannte den HP-65 „die eleganteste Maschine, die ein Wissenschaftler ohne Labor tragen kann“, und die New York Times titelte 1975: „Vom Raketenlabor in die Hemdtasche: HPs Taschenrechner weist den Weg“.

Konkurrenz gab es wenig: Texas Instruments brachte erst 1977 den TI SR-52 auf den Markt, der erstmals ein ähnliches Funktionspaket bot. Der SR-52 war günstiger, aber weniger zuverlässig – das Magnetkartenlaufwerk war mechanisch anfälliger, die Programmierung nicht so elegant gelöst. Ein späterer Vergleichstest im Magazin BYTE (1979) kam zum Urteil: „Der HP-65 fühlt sich wie ein Präzisionsinstrument an – der TI wie ein Spielzeug, das sich zu sehr anstrengt.“

Der HP-65 war ein voller Erfolg – technisch, wirtschaftlich, symbolisch. Er veränderte Hewlett-Packard grundlegend: Die Calculator Division wurde nach dem Erfolg massiv ausgebaut, das Unternehmen wandelte sich vom Instrumentenhersteller zum Innovator für mobile Datenverarbeitung. Es war der HP-65, der das Fundament für spätere Geräte wie den HP-41C oder den legendären HP-71 legte. Tom Osborne blieb bis Mitte der 80er bei HP und entwickelte unter anderem den HP-67 und HP-97 – direkte Nachfolger des HP-65, aber mit alphanumerischen Displays und erweitertem Speicher.

Man kann mit Fug und Recht sagen: Der HP-65 war kein Taschenrechner – sondern der erste Taschencomputer, auch wenn er noch keine Bits und Bytes im heutigen Sinn verarbeitete. In seinem Innersten war er ein mikrocodiertes Rechenwerk im Taschenformat – das erste, das man im Flugzeug, im Labor oder im Weltall einsetzen konnte. Und genau das machte ihn unsterblich.

 

Veröffentlicht in Systeme.

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