Philips
Die Geschichte von Philips als Konsolen- und Computerhersteller beginnt nicht etwa mit Spieltrieb, sondern mit Röhren. Bereits 1891 gegründet, war das niederländische Unternehmen zunächst ein Leuchtenhersteller – später wurde es durch seine Innovationen in der Unterhaltungselektronik weltbekannt. Fernseher, Radios, Kassettenrekorder – alles, was flimmerte oder röhrte, trug irgendwann den berühmten Schriftzug aus Eindhoven. Doch in den späten 1970er-Jahren schielte man zunehmend neidisch auf das, was in Japan, den USA und bei Commodore so munter über die Bildschirme hüpfte: Pixel, Punkte, Pac-Man. Man wollte auch mitspielen.

Von Max Mustermann - computerspielemuseum-36, CC BY-SA 2.0
Mit dem Philips Videopac G7000, international auch als Magnavox Odyssey² bekannt, stieg Philips 1978 in den Heimkonsolenmarkt ein. Der Name war dabei so sperrig wie die Technik revolutionär. Während Atari sich noch mit simplen Bit-Schiebereien begnügte, bot das G7000 eine alphanumerische Tastatur, ein BASIC-ähnliches Textsystem und austauschbare Spielmodule. Ein Alleskönner im Wohnzimmer – zumindest theoretisch. In der Praxis war das System technisch seinen amerikanischen Kollegen etwas unterlegen, was sich besonders bei der Farbdarstellung und der Anzahl der beweglichen Sprites bemerkbar machte. Trotzdem avancierte es in Europa, insbesondere in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden, zu einem beliebten Bildungs- und Spielgerät – nicht zuletzt wegen des seriösen Images von Philips.
Bekanntester Programmierer des G7000 war Ed Averett, ein Entwickler, der über 25 Spiele im Alleingang programmierte – darunter Klassiker wie "Pick Axe Pete", "KC’s Krazy Chase" und "UFO!". Averett war eigentlich studierter Mathematiker und arbeitete zuvor bei Tektronix, bevor er sich der Konsolenprogrammierung widmete. Sein kurioser Einfall, KC Munchkin als Antwort auf Pac-Man zu erschaffen, führte zu einer juristischen Auseinandersetzung mit Atari – und zur späteren Entfernung des Spiels in den USA, ein früher Fall von Konsolen-Justiz. Ironischerweise wurde gerade dieses Spiel in Europa ein Verkaufshit.
Anfang der 1980er-Jahre suchte Philips auch im Computermarkt sein Glück – mit Geräten wie dem Philips P2000T. Dieser Heimcomputer basierte auf dem Zilog Z80-Prozessor, hatte 16 KB RAM und verwendete – revolutionär für die Zeit – Mini-Kassettenlaufwerke wie sie von Diktiergeräten bekannt waren. Das sparte Platz, war aber technisch anfällig und alles andere als schnell. Der P2000T setzte sich vor allem in Bildungsinstitutionen der Niederlande durch, wurde aber nie ein internationaler Erfolg. Eine geplante Version mit integriertem Monitor und Farbgrafik namens P2000M wurde nie veröffentlicht, da die Produktionskosten zu hoch waren und Commodore bereits mit dem C64 den Massenmarkt dominierte.
Philips beteiligte sich auch an der Entwicklung des MSX-Standards – einer japanisch-niederländischen Kooperationsidee, bei der Computer verschiedener Hersteller kompatibel sein sollten. Der Plan: Ein global einheitlicher Heimcomputer-Standard. Philips brachte Modelle wie den VG-8020, NMS 8250 oder den NMS 8280 auf den Markt. Besonders letzterer, mit seinem eingebauten Video-Mischer, war bei semiprofessionellen Videoproduzenten beliebt. Entwickelt wurden viele dieser Geräte in Zusammenarbeit mit Firmen wie SpectraVideo, ASCII Corporation und Microsoft Japan – eine bunte Truppe, die trotz guter Vorsätze nie den Westen eroberte. Denn während MSX in Japan, Spanien und Brasilien solide Marktanteile erreichte, wurde der Standard in Mitteleuropa von Commodore, Schneider und Atari überrollt. Trotzdem galt der MSX-Versuch als eine der charmantesten Verirrungen der Heimcomputer-Ära. Viele Spiele, etwa aus der Metal Gear- oder YS-Serie, wurden ursprünglich für MSX entwickelt – ein Kuriosum, das nur wenige Retro-Fans heute wissen.
In den frühen 1990er-Jahren kam dann Philips’ größter, teuerster und wohl umstrittenster Beitrag zur Konsolenwelt: das CD-i – das Compact Disc Interactive. Entwickelt mit viel Ambition und noch mehr Investitionen, sollte das CD-i nicht nur eine Spielkonsole sein, sondern ein interaktives Multimedia-System für Bildung, Edutainment, Video und mehr. Die technische Leitung des Projekts lag unter anderem bei Henk H. van Breukelen, einem langjährigen Philips-Ingenieur mit Fokus auf optische Speichermedien. Unterstützt wurde das Projekt von Technikern aus der CD-ROM-Entwicklung bei Sony, sowie einigen Softwarepartnern aus Frankreich und den USA. Das CD-i wurde 1991 veröffentlicht – mit einer verwirrenden Marketingkampagne und einem noch verwirrenderen Gerätepreis von bis zu 999 Dollar. Inflationsbereinigt wären das heute rund 1.850 Euro. Es war der Ferrari unter den Konsolen – nur leider mit dem Spielekatalog eines Fiat Panda.
Spiele wie Hotel Mario oder die berüchtigten Zelda-Ableger ("Zelda: The Wand of Gamelon", "Link: The Faces of Evil") wurden von Animation Magic und Viridis in Russland und den USA entwickelt. Sie sind heute legendär – nicht etwa wegen ihrer Spielbarkeit, sondern wegen ihrer bizarr schlechten Animationen und schrägen Synchronsprecher. Nintendo hatte Philips die Zelda- und Mario-Lizenzen im Zuge eines geplatzten CD-ROM-Add-on-Plans für das SNES überlassen – ein folgenschweres Geschenk, das Nintendo später öffentlich bedauerte. In einem Interview aus den späten 90ern sagte ein anonymer Nintendo-Mitarbeiter trocken: „Wir hätten lieber auf die CD verzichtet, als Mario in einem Videobuch enden zu sehen.“
Philips selbst hingegen hoffte auf die All-in-One-Vision. Das CD-i konnte nicht nur Spiele, sondern auch Video-CDs, interaktive Lernsoftware und Karaoke. Ein optionales Modem, ein tragbares CD-i-Player-Modell und sogar ein spezieller Trackball für lehrreiche Anwendungen waren geplant. Doch weder der Bildungsbereich noch die Wohnzimmer waren bereit für ein 1000-Mark-Gerät, dessen Ladezeiten bis zu 30 Sekunden betrugen – für einen simplen Menübildschirm. Das CD-i blieb ein ambitionierter Flop. Weltweit wurden rund 570.000 Einheiten verkauft, wovon die meisten als Geschenk oder Schulbedarf in Bildungseinrichtungen endeten. Dennoch gilt das CD-i heute als gesuchtes Sammlerobjekt und bizarrer Meilenstein einer Zeit, in der Multimedia noch ein Modewort war und man CD-ROMs für magisch hielt.
Zu den interessanteren Peripheriegeräten, die Philips plante, gehörte auch eine Lightgun für das CD-i, ein digitales Zeichenpad, ein Infrarot-Controller mit Joystick-Kappe und ein TV-Tuner-Modul – alles mit mäßigem Erfolg oder gar nie erschienen. Immerhin war das CD-i einer der ersten Konsolenversuche mit einer Benutzeroberfläche, Mausbedienung und Multitasking – technologische Vorschusslorbeeren, die aber von Sony mit der PlayStation effizienter verwertet wurden.
Auch innerhalb von Philips wurden die Projekte nicht immer mit Begeisterung begleitet. Ein ehemaliger Projektmanager erzählte einmal in einem niederländischen Interview: „Jedes Mal, wenn wir ein neues CD-i-Modul vorstellten, rollten die Leute in Eindhoven kollektiv mit den Augen.“ Der interne Spitzname für das System lautete demnach "Compact Disaster Initiative" – zumindest bis jemandem der Mut verging, es öffentlich zu sagen.
Philips hatte nie den Kultstatus von Atari, die Massenpower von Nintendo oder das Spielewissen von Sega. Doch was ihnen fehlte, machten sie mit Erfindungsgeist, technischer Präzision und einem Hang zum multimedialen Exzess wett. Ob G7000, MSX oder CD-i – jedes Gerät war durchdacht, meist gut verarbeitet, aber oft zu früh, zu teuer oder schlicht zu akademisch für den Massenmarkt.
Mit dem Ende des CD-i-Projekts um 1996 zog sich Philips schrittweise aus dem Konsolen- und Heimcomputersegment zurück. Heute ist der Name nur noch indirekt in Technikgeschichte und Medienträgern wie der CD/DVD/Blu-ray verwoben – deren Entstehung Philips in den 1980ern und 90ern maßgeblich mitprägte. Ironischerweise ist Philips somit auf Umwegen trotzdem in jeder modernen Spielkonsole vertreten – als Miterfinder der Disc, auf der alles läuft.
In Retrospektive war Philips nie der Rockstar der Branche, eher der verkannte Professor mit schiefem Sakko, aber brillianten Ideen. Die Produkte hatten Charme, Hirn – und manchmal leider zwei linke Füße. Doch wer heute einen VG-8020 anwirft oder „Hotel Mario“ mit ironischer Distanz genießt, der spürt, was Philips eigentlich war: ein Querkopf im Gehäuse eines Weltkonzerns.