Alcatraz – 1992 by Infogrames

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Vom Taktik-Thriller zum Baller-Spektakel: Alcatraz im Schatten von Hostages

imagesAlcatraz erschien 1992 unter dem Banner von Infogrames und wurde vom britischen Team 221B Software Development entwickelt. Im Zentrum stand eine Prämisse, die direkt aus einem 80er-Jahre-Actionfilm hätte stammen können: Die berüchtigte Gefängnisinsel Alcatraz war in den Händen des Drogenlords Miguel Tardiez, und zwei US-Navy-SEALs mit den martialischen Codenamen „Bird“ und „Fist“ sollten die Insel stürmen, Beweise sichern und den Oberbösewicht endgültig ausschalten. Dass das Szenario dem Spieler zwei Stunden Echtzeit für diese Mission gab, unterstrich den Anspruch von Infogrames, Spannung mit taktischem Druck zu verbinden.

Das Besondere an Alcatraz war sein Wechsel zwischen verschiedenen Perspektiven. Im Außenbereich lief der Spieler – oder gleich zwei, denn ein Splitscreen-Koop-Modus war die große Innovation – in klassischer Run-and-Gun-Manier über den Bildschirm, duckte sich in Schatten und feuerte mit MGs, Flammenwerfern oder Bomben. Betritt man ein Gebäude, wechselte die Ansicht in eine frühe Ego-Perspektive, in der es Beweise und Waffen zu finden galt. So wirkte Alcatraz wie eine wilde Mischung aus Green Beret, Ninja Warriors und einer Prise Operation Wolf. Die Entwickler setzten vor allem auf diesen Koop-Faktor. Kevin Cook, einer der Programmierer, sagte später einmal: „Wir wollten ein Spiel machen, das man wie einen Actionfilm mit einem Kumpel erleben kann – Schulter an Schulter, gegen die Zeit.“

Die Entwicklung verlief allerdings nicht ohne Umwege. Ursprünglich sollte es deutlich mehr Gebäude auf der Insel geben, darunter auch ein geplantes Hospital-Level, das man aber verwarf, weil es technisch zu aufwendig gewesen wäre, zwei Perspektivwechsel pro Schauplatz darzustellen. Auch ein Unterwasser-Abschnitt, in dem die SEALs mit Taucherausrüstung aus der Bucht in Alcatraz eindringen sollten, blieb in der Schublade. Solche Ideen schafften es nie ins finale Spiel, fanden aber teilweise als Skizzen den Weg in die Design-Dokumente von Infogrames.

Die Programmierung übernahmen Kevin Cook, Mark Stamps, Neil Beresford, Martin Cook, Christian Pennycate und Mick Garlick, während Josiane Girard für die grafische Gestaltung sorgte. Ray Norrish lieferte die Musik – seine Erfahrung mit atmosphärischen Amiga-Soundtracks wie Blood Money und The Killing Game Show prägte auch Alcatraz, das mit düsteren Klängen und martialischen Samples (darunter die vielzitierten „Krach! Ahh! Gurgel!“-Sounds) arbeitete.

Veröffentlicht wurde Alcatraz gleichzeitig für MS-DOS, Amiga und Atari ST. Während die DOS-Version flüssiger lief, hatten die Amiga- und ST-Versionen den Bonus einer saubereren Grafik. Konsolenportierungen waren nicht geplant, auch wenn Gerüchte über eine Mega-Drive-Version durch die Fachpresse geisterten. In Europa war Infogrames selbst für die Distribution verantwortlich, in den USA erschien das Spiel unter Interplay. Preislich bewegte sich Alcatraz im Rahmen der damaligen Vollpreisspiele mit etwa 80–100 DM (entspricht inflationsbereinigt rund 80–95 €). Später tauchte es in Europa auch als Budget-Titel auf Labels wie Kixx auf, zu Preisen um die 30 DM (heute etwa 28–30 €).

Die Rezeption fiel gemischt bis kritisch aus. In Großbritannien konnte man noch Begeisterung spüren: Amiga Computing vergab 81 % und fand die „scrolly shooty bits absolutely brilliant“, während Amiga Format bei 76 % landete. Doch in Deutschland war man weniger gnädig. Die ASM urteilte in Ausgabe 7/1992 mit einem „zufriedenstellend“, vergab eine Gesamtwertung von 6/12 und lobte zwar die Animationen als „höchst amüsant“, kritisierte aber, dass sich das Spiel sehr schnell abnutze. Immerhin hob die Redaktion den Zwei-Spieler-Splitscreen-Modus positiv hervor. Die Power Play hingegen zeigte keine Gnade: Mit nur 47 % wurde Alcatraz in Ausgabe 8/1992 regelrecht zerrissen. Die Redaktion sah „simples Abballern der schödesten Art“ und fand, der Vorgänger Hostages habe weitaus mehr Abwechslung geboten. Besonders betonte man die übertriebene Gewaltdarstellung: „Allenormalen“ Gemüter sollten Abstand nehmen: Alcatraz ist gewaltiggewalthaltig“. Das Fazit war ein klares „na ja“ – begleitet von einer unmissverständlichen Wertung für ein Spiel, das im Schatten seines Vorgängers verblieb.

Eine zusätzliche Kontroverse kam in Deutschland durch die BPjS (heute BPjM): Alcatraz wurde indiziert, da es in den Augen der Prüfstelle zu brutal sei. Damit war der kommerzielle Erfolg hierzulande praktisch besiegelt, denn der Titel verschwand nach kurzer Zeit aus den Regalen.

Alcatraz wurde vielerorts als Hostages 2 bezeichnet, weil es inhaltlich und spielmechanisch stark an Infogrames’ erfolgreichen Vorgänger Hostages (1988) anknüpfte. Beide Spiele kombinierten Action mit taktischen Elementen und setzten auf Perspektivwechsel zwischen Außen- und Innenansichten, wobei die Entwickler erneut das Gefühl einer filmischen Spezialeinheit vermitteln wollten. Auch in der Vermarktung spielte Infogrames bewusst mit dieser Nähe: Verpackungstexte und Pressematerialien stellten Alcatraz als „inoffiziellen Nachfolger“ dar, um den Bekanntheitsgrad von Hostages zu nutzen. Während die Handlung von einer Gefängnisinsel statt einer Geiselnahme erzählte, sah die Presse sofort die Parallelen, weshalb sich der Spitzname „Hostages 2“ schnell durchsetzte – auch wenn es offiziell nie so hieß.

Und vielleicht bleibt genau das hängen: Alcatraz war kein Meilenstein, sondern ein Kind seiner Zeit. Ein Actionfilm zum Mitspielen, mit Kanten, mit Gewalt, mit einem Koop-Modus, der zumindest für ein paar Abende Spaß brachte – bis man dann doch wieder Hostages einlegte. Heute ist es ein Stück Computerspielgeschichte, das in seiner Mischung aus Ambition, Splitscreen-Innovation und Marketing als „Hostages II“ wohl mehr über die frühen 90er erzählt, als es damals den Spielern bewusst war.

 

Veröffentlicht in Games.

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