IO – 1988 by Firebird

Picture taken from https://www.lemon64.com/game/io
IO erschien 1988 auf dem Commodore 64 und gehört zu jenen Spielen, die man in der Retro-Szene nicht so leicht vergisst, auch wenn sie im Schatten von Genre-Giganten wie R-Type standen. Herausgebracht wurde es von Firebird, entwickelt vom damals noch unbekannten Duo Douglas Hare und Bob Stevenson, die sich den Teamnamen Kinetic Designs gaben. Es war ihr kommerzielles Debüt, und dennoch überraschte das Ergebnis viele durch eine technische Brillanz, die man sonst eher von etablierten Studios wie Graftgold erwartete. Die Musik steuerte David Whittaker bei, ein Komponist, der schon damals mit unzähligen C64-Soundtracks für Furore sorgte, darunter Shadow of the Beast, Lazy Jones und eine ganze Reihe weiterer Titel. Auch das Cover-Artwork von David John Rowe mit dem markanten Schriftzug „IO – Into Oblivion“ wurde viel diskutiert, nicht zuletzt, weil dieser Untertitel für Verwirrung sorgte und manchen Spieler glauben ließ, es handle sich um ein ganz anderes Spiel.
Das Projekt begann ursprünglich unter dem Namen Starline bei Thalamus. Hare und Stevenson wollten eine Bitmap-basierte Scroll-Engine nutzen, die für den C64 allerdings schlicht zu ambitioniert war. Die Performanceprobleme häuften sich, und nach einigen Monaten wurde das Projekt abgebrochen. Viele Ideen überlebten jedoch in veränderter Form und flossen in IO ein. So entschieden sich die Entwickler, statt der Bitmap-Technik einen zeichenbasierten Scroll zu verwenden, unterteilt in mehrere separate Zeichensätze, die den Eindruck komplexer und farbenreicher Hintergründe erzeugten. Heraus kam ein Spiel, das für damalige C64-Verhältnisse technisch sehr eindrucksvoll wirkte, auch wenn die Speicherknappheit dazu führte, dass einige geplante Inhalte – zusätzliche Levels, komplexere Landschaften oder aufwändigere Zwischensequenzen – verworfen werden mussten. Am Ende standen vier Level, jeder mit seinem eigenen Boss, die man bis heute als Paradebeispiele für pixelige Kunstwerke bewundern kann.
Spielerisch folgt IO dem klassischen Muster eines Side-Scrolling-Shooters. Man übernimmt die Rolle eines Elitepiloten, der gegen eine Alien-Invasion antritt. Die Gegner reichen von kleineren Scharmützeln über fiese Geschütztürme bis zu überdimensionalen Bossgegnern, die das Ende eines jeden Abschnitts markieren. Das Leveldesign erinnert in den engen Passagen stark an R-Type, während die Gegnerwellen eher an Gradius denken lassen. Besondere Erwähnung verdient das Power-Up-System: Smart-Bomb-Symbole, die entweder den Bildschirm mit einem Schlag leeren oder – wenn man sie geschickt mehrfach anschießt – als Upgrades in Form neuer Waffen oder kleiner Orb-Satelliten dienen, die das eigene Schiff beschützen. Zwei dieser Kugeln lassen sich gleichzeitig nutzen, danach verwandeln sich weitere Symbole in Punkte. Doch IO ist gnadenlos: Stirbt man einmal, sind sämtliche Upgrades verloren und man startet wieder mit der schwachen Standardwaffe, was im fortgeschrittenen Spiel praktisch einem Todesurteil gleichkommt. Diese Mechanik machte IO zu einem der härtesten Spiele seiner Zeit, denn wer nicht nahezu fehlerfrei spielte, hatte kaum Chancen, weit zu kommen.
Die Presse reagierte mit gemischten Gefühlen. Einerseits gab es Lobeshymnen für die Grafiken, die butterweichen Scrolls und die Musik von Whittaker. Zeitgenössische Magazine wie ASM vergaben hohe Wertungen um die 80 %, lobten die audiovisuelle Präsentation, warnten aber vor der unbarmherzigen Schwierigkeit. Auch Zzap!64 kam auf 80 %, sprach aber offen davon, dass das Spiel nur für Hartgesottene geeignet sei. Manche Tester sprachen von einem „nervenaufreibenden Meisterwerk“, andere kritisierten, dass die Härte das Spiel künstlich verlängere. Viele Spieler bemängelten zudem das Fehlen einer Highscore-Speicherfunktion – ein seltsamer Designentscheid, der bis heute für Diskussionen sorgt.
Wirtschaftlich konnte IO mit den ganz großen Hits nicht mithalten. In Großbritannien kostete das Spiel zur Veröffentlichung rund 9,95 £ auf Kassette und etwa 14,95 £ auf Diskette, was inflationsbereinigt heute etwa 30 bis 45 £ entspricht, also zwischen 35 und 55 Euro. In Deutschland bewegten sich die Preise um die 69 bis 79 DM, was in heutiger Kaufkraft etwa 70 bis 80 Euro wären. Damit war IO durchaus ein Vollpreistitel, der auf Augenhöhe mit anderen Spitzenveröffentlichungen stand. 1991 erschien eine Neuauflage als Budgetversion bei Zeppelin Games für 3,99 Pfund, was inflationsbereinigt heute knapp 9 bis 10 Euro wären. Diese Neuauflage erreichte allerdings nicht mehr die damalige Strahlkraft, zumal Spieler sich längst an komfortablere Shooter auf Amiga und Konsole gewöhnt hatten. Commodore Format etwa bewertete die Budget-Veröffentlichung nur noch mit 41 %, während es zuvor in der ASM immerhin noch 10 von 12 Punkten erhalten hatte.
Trotzdem blieb IO ein Kultspiel. Für viele ist es eines der grafisch schönsten C64-Spiele überhaupt, dessen Design auch heute noch beeindruckt. In Fanforen wird es gerne als „Meisterwerk für Masochisten“ bezeichnet. Die Abkürzung IO wurde von manchen augenzwinkernd mit „Immense Odds“ übersetzt, angesichts der unfassbaren Chancenlosigkeit vieler Spieler. 2007 erschien sogar ein Fan-Remake für Windows, und 2018 wurde es auf dem The C64 Mini neu aufgelegt. Damit lebt der Ruf dieses Spiels weiter: technisch brillant, musikalisch atmosphärisch, spielerisch erbarmungslos. Ein typisches Kind der Achtziger, das zeigt, wie nah Genie und Wahnsinn manchmal beieinanderliegen.