Vector 1

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Vector 1

vector1Im Jahr 1976, als der Begriff "Personal Computer" noch mit Schraubenzieher und Lötzinn gleichgesetzt wurde, gründeten Lore Harp McGovern, Carole Ely und Robert Harp im sonnigen Kalifornien das Unternehmen Vector Graphic Inc. Die Vision: nicht nur leistungsfähige Computer zu bauen, sondern auch solche, die benutzerfreundlich und optisch ansprechend waren. Während Harp als Ingenieur die technische Leitung übernahm, trieb Harp McGovern als CEO die strategische Entwicklung voran. Ihre Mission war klar: Technik aus dem Bastelkeller in den Büroalltag zu bringen. Mit Mut zur Farbe, strukturiertem Design und klarem Fokus auf Bedienbarkeit stach Vector Graphic schnell aus der damaligen Nerd-Nische heraus.

Ursprünglich konzentrierte sich das Unternehmen auf Erweiterungskarten für den populären S-100-Bus, insbesondere RAM-Module und Grafikkarten. Diese wurden bald für ihre hohe Qualität und gute Dokumentation bekannt, was Vector Graphic rasch einen guten Ruf unter Early-Adopters und Systemintegratoren einbrachte. Erst als der Bedarf an kompletten Systemen stieg – insbesondere solchen, die man nicht erst aus 20 Einzelteilen zusammensetzen musste –, entschied man sich, ein eigenes Komplettsystem zu entwickeln: den Vector 1.

vector1 topless1977 stellte das Unternehmen schließlich diesen Vector 1 vor – einen S-100-Bus-basierten Mikrocomputer, der für professionelle Anwendungen gedacht war und die rohe Bastelästhetik des Altair 8800 oder IMSAI 8080 hinter sich ließ. In einem robusten Metallgehäuse, erhältlich in den Farben Grün oder "Rust", steckte ein Intel 8080A-Prozessor mit 2 MHz, gepaart mit einem Kilobyte RAM. Das klang nach wenig – war aber über den S-100-Bus, dem damals führenden Industriestandard, auf bis zu 64 KB erweiterbar. Der S-100-Bus, ursprünglich von MITS für den Altair entwickelt, war ein Steckplatzsystem mit 100 Kontakten, über die CPU-, Speicher- und Peripheriekarten miteinander kommunizierten. Vector Graphic nutzte dieses System voll aus und stattete den Vector 1 mit bis zu 18 dieser Slots aus – eine Plattform, die mit dem Unternehmen und den Anforderungen der Nutzer wachsen konnte.

Anders als viele seiner Zeitgenossen verzichtete der Vector 1 auf eine batterielose Kippschalter-Programmierung und setzte stattdessen auf eine einfache Benutzeroberfläche mit nur zwei Tasten: Reset und Start. "Two-touch computing" nannte das Lore Harp in Werbematerialien – ein mutiger Marketingansatz in einer Ära, in der das Programmieren von Bootsequenzen per Hand als Männlichkeitsritual galt.

Zum Preis von 849 US-Dollar (bzw. 619 Dollar als Bausatz) bot der Vector 1 ein solides Angebot. Inflationsbereinigt entspricht das heute etwa 3.300 Euro. Geliefert wurde der Rechner mit einem einfachen Monitor-ROM zur Basiskontrolle, doch über ein optionales Tarbell-Kassetteninterface oder spätere Diskettencontroller ließ sich CP/M laden – das populärste Betriebssystem seiner Zeit. Auch firmeneigene Textverarbeitungssysteme wie Flashwriter oder Memorite wurden angeboten und machten den Vector 1 zu einem echten Büroarbeitsplatz.

Im Inneren des Gehäuses steckte eine robuste Metallrahmenstruktur mit einem integrierten Netzteil (mit +8V, +16V, -16V Spannungen), einer Backplane für S-100-Karten und den erwähnten Einsteckkarten – CPU, RAM und serielle Schnittstellen gehörten zur Grundausstattung. Erweiterungskarten für parallele I/O, Floppycontroller oder auch grafische Terminals konnten einfach nachgerüstet werden. Der später erschienene Vector 1+ verfügte sogar über ein integriertes Diskettenlaufwerk – eine Seltenheit im S-100-Segment und ein klarer Hinweis auf den Office-Fokus der Entwickler.

Die Ausgabe erfolgte über externe Terminals wie das ADM-3A – 80 Zeichen auf 24 Zeilen, monochrom in grün oder bernstein. Grafikausgabe im eigentlichen Sinne gab es nicht. Ebenso wenig wie Sound. Der Vector 1 war kein Spielzeug, sondern ein ernstzunehmendes Werkzeug – und das war auch gut so. Wer einen Piepton wollte, konnte sich über S-100-Karten behelfen, doch Multimedia war hier kein Thema.

Vector Graphic schaffte es mit dem Vector 1, mehrere tausend Einheiten abzusetzen – vor allem an Universitäten, kleine Unternehmen und technische Bildungseinrichtungen. Der jährliche Umsatz stieg bis 1982 auf rund 36 Millionen US-Dollar. Man wurde an der NASDAQ gelistet, beschäftigte etwa 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und war kurzzeitig einer der erfolgreichsten unabhängigen Computerhersteller in den USA. Doch der Markt veränderte sich rasant. Der IBM-PC dominierte ab 1981 das Geschäft, und S-100-Systeme gerieten ins Hintertreffen.

Carole Ely and Lore Harp

Carole Ely and Lore Harp - erkennbar ist die Größe des Vector 1

Technisch war der Vector 1 gegenüber Altair und IMSAI überlegen: stabiler Aufbau, integriertes Netzteil, klares Design, bessere Dokumentation. Gegenüber dem IBM PC, Atari ST oder Amiga jedoch fehlten Grafik, Sound und ein integriertes Betriebssystem mit grafischer Oberfläche. Doch der Vector 1 hatte nie den Anspruch, ein Heimcomputer zu sein – er war Bürogerät mit System.

Die Gründer prägten das Unternehmen maßgeblich. Lore Harp McGovern, später Mitbegründerin der McGovern-Stiftung für neurowissenschaftliche Forschung, war eine der wenigen weiblichen CEOs im Silicon Valley der späten 70er. Carole Ely leitete Marketing und Vertrieb. Robert Harp war Chefentwickler und verantwortete unter anderem das Design der frühen RAM-Module.

Der Vector 1 öffnete Vector Graphic den Weg zu größeren Systemen wie dem Vector 3 und Vector 4 – doch mit dem Ende der S-100-Ära und dem Aufstieg des IBM-kompatiblen Standards verlor das Unternehmen an Relevanz. 1987 folgte schließlich die Insolvenz.

Trotzdem bleibt der Vector 1 ein wichtiger Meilenstein: als frühes Beispiel für benutzerfreundliches Hardwaredesign, als Wegbereiter für Bürocomputer und als Zeugnis einer Ära, in der Computer langsam aus der Heimwerkernische ins Licht der Öffentlichkeit traten – geführt von einem Team, das technisches Gespür mit Mut zum Design verband. Und das ganz ohne blinkende Schalterparade.

 

Veröffentlicht in Systeme.

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