TMS9900
Der TMS9900 wurde 1976 als einer der ersten Ein-Chip-16-Bit-Mikroprozessoren vorgestellt. Er basierte auf der Architektur des TI-990-Minicomputers und übertrug dessen leistungsfähige 16-Bit-Designprinzipien auf einen einzelnen N-MOS-Chip. Mit etwa 3100 Gattern (rund 8000 Transistoren) und einer Taktfrequenz bis 3 MHz war der TMS9900 seinerzeit technologisch beeindruckend. Während viele 8-Bit-Konkurrenten wie der MOS 6502 noch mit rund 1 MHz takten mussten, hoffte Texas Instruments auf einen frühen Sprung in das 16-Bit-Zeitalter. Und tatsächlich war der TMS9900 der erste kommerzielle 16-Bit-Mikroprozessor auf dem Markt. Doch der Vorsprung wurde nicht zum Triumph. Einer der TI-Manager, Walden C. Rhines, kommentierte Jahre später selbstkritisch: „Obwohl dieser Hund von einem Chip im ersten 16-Bit-Heimcomputer der Welt eingesetzt wurde, hat ihn kaum jemand je wahrgenommen. Die Geschichte wird eben von den Gewinnern geschrieben.“
Der Chip entstand aus der Philosophie „one company, one computer architecture“. TI wollte die gleiche Befehlssatzstruktur vom Großrechner bis zum Taschenrechner einsetzen und die bewährte Minicomputer-Familie TI-990 mit einer Mikrochiplösung in den Massenmarkt bringen. Chefarchitekt Granville Ott, zuvor in der Explorationstechnik für Ölförderung tätig, wurde zurückgeholt, um das Design zu leiten. Er sollte später auch die Leitung des TI-99/4 übernehmen. Unterstützt wurde er unter anderem von Walden Rhines, einem jungen, aufstrebenden Ingenieur, der später in der Chipbranche Karriere machen sollte. Die Strategie, die TI mit dem TMS9900 verfolgte, war ambitioniert – aber in mancher Hinsicht zu ambitioniert.
Technisch bot der TMS9900 einige Besonderheiten, die sich sowohl als clever als auch als hinderlich herausstellten. Anstatt eigene Register auf dem Chip zu haben, verwaltete er seine 16 General-Purpose-Register im externen RAM. Lediglich drei Steuerregister – der Programmzähler, der Workspace Pointer und das Statusregister – befanden sich auf dem Chip. Diese Auslagerung ermöglichte extrem schnelle Kontextwechsel: Beim Wechsel zwischen Aufgaben musste lediglich der Workspace Pointer angepasst werden. Das machte den TMS9900 prinzipiell ideal für Multitasking und Echtzeitbetrieb – eine geniale Idee für große Systeme, aber für den Mikrocomputereinsatz mit seinen engen Bandbreiten eher ein Bremsklotz. Jeder Registerzugriff bedeutete einen Speicherzugriff – und der war deutlich langsamer als ein interner Chip-Zugriff.
Auch bei der Adressierung setzte TI auf ein ungewöhnliches Konzept. Der Chip hatte zwar 15 Adressleitungen, konnte aber nur 16-Bit-Worte direkt adressieren – also Wortadressierung, nicht Byteadressierung. Für Byteoperationen waren bitweise Maskier- und Schiebeoperationen notwendig. Hinzu kam ein separat angebundener CRU-Bus für Ein-/Ausgabe, der sich deutlich von den I/O-Ansätzen anderer CPUs unterschied. Das machte Peripherieintegration für Drittanbieter unnötig kompliziert. TI entwickelte darum eigene, passende Chips wie PIO- oder serielle Schnittstellen, doch eine breite Ökosystem-Kompatibilität blieb aus.
Der Chip wurde in einem aufwendigen 64-Pin-Gehäuse ausgeliefert, um 16-Bit-Daten- und 15-Bit-Adressbus vollständig getrennt und ohne Multiplexing zu ermöglichen. Das machte ihn teuer in der Fertigung. Hinzu kamen drei benötigte Betriebsspannungen (+5 V, +12 V, -5 V) und ein komplexer vierphasiger Takt. Wer den TMS9900 in seine Hardware integrieren wollte, brauchte also nicht nur Geld, sondern auch Nerven. Später vereinfachte TI diesen Aufbau mit Varianten wie dem TMS9980A oder dem TMS9995, die mit 40 Pins, einfacherem Takt und 8-Bit-Bus auskamen. Doch da war der Markt für TI bereits verloren.
Anfangs wurde der TMS9900 ausschließlich in internen TI-Produkten eingesetzt – zunächst in Terminals und Steuerungstechnik, später auch im TI-99/4 und TI-99/4A Heimcomputer. Der TI-99/4A war 1981 der erste Heimcomputer mit 16-Bit-Prozessor. Sein Preis lag zunächst bei rund 525 US-Dollar, inflationsbereinigt heute etwa 1500 Euro. Später fiel der Preis auf sensationelle 99 Dollar, was zwar die Verkaufszahlen auf etwa 2,8 Millionen Stück trieb, aber TI massive Verluste einbrachte. Die Herstellungskosten des TMS9900 lagen bei rund 70 US-Dollar je Chip, inflationsbereinigt ca. 230 Euro – ein teures Bauteil im Billigrechner.
Doch die echte Bremswirkung entfaltete sich erst durch das Gesamtdesign. Im TI-99/4A konnte die CPU den Hauptspeicher nur über den Videochip ansprechen – mit 8-Bit-Busbreite. Damit war die 16-Bit-Power des TMS9900 quasi kastriert. Trotz 3 MHz Takt war der Rechner langsamer als viele 8-Bit-Systeme. Ein Kommentator schrieb: „Mit seiner 16-Bit-CPU bei 3 MHz sollte er eigentlich der Performance-König gewesen sein – und das war er eindeutig nicht.“ Die Gründe lagen im Systemdesign, nicht im Chip – doch dem half das wenig.
Ein weiterer herber Rückschlag war der verlorene Großauftrag mit IBM. Das Team in Boca Raton prüfte 1980 den TMS9900 als möglichen Prozessor für den IBM PC. Rhines selbst stellte den Chip dort vor – und verlor gegen Intels 8088. Nicht, weil dieser besser war, sondern weil er mit 20-Bit-Adressraum 1 MB RAM adressieren konnte. Der TMS9900 blieb bei 64 KB. IBM wollte einen zukunftssicheren Chip – und entschied sich für „das kleinere Übel“, wie Rhines es rückblickend nannte.
Die Geschichte des TMS9900 wurde damit zu einem Paradebeispiel für technische Brillanz ohne Markterfolg. Der Chip hatte geniale Features: schnellen Kontextwechsel, klaren Befehlssatz, integrierte Arithmetik – aber war zu teuer, zu kompliziert und zu wenig kompatibel. Kaum ein Fremdhersteller setzte ihn ein. Selbst in Industrieprojekten kam der TMS9900 nur selten außerhalb von TI zum Einsatz.
Immerhin: Der Chip inspirierte spätere Mikrocontroller. Die Architektur floss in TIs 16-Bit-Controllerfamilie MSP430 ein. Auch Spezialanwendungen wie der Token-Ring-Netzwerkchip TMS380 oder die industrielle Steuertechnik profitierten von der flexiblen Befehlssatzstruktur. Varianten wie der TMS9940 (mit On-Chip-ROM) oder der militärisch gehärtete SBP9900 fanden in Steuerungen und Bordelektronik ihren Platz.
In der Heimcomputerwelt jedoch blieb der TMS9900 ein Exot. Weder Tomy Tutor (Pyūta) noch Mechatronics-Systeme oder Geneve 9640 konnten das ändern. Selbst der geplante TI-99/8, ein High-End-Nachfolger mit TMS9995, wurde nie veröffentlicht. Nachdem TI 1983 den Heimcomputermarkt verließ, war das Kapitel praktisch abgeschlossen.