Mario Paint – 1992 by Nintendo

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Mario Paint - 1992 by Nintendo

Mario PaintAls Nintendo 1992 „Mario Paint“ für das Super Nintendo Entertainment System veröffentlichte, stellte es eine bemerkenswerte Abweichung vom üblichen Spielkonzept dar. Anstelle eines klassischen Jump’n’Runs oder Actiontitels erwartete die Spieler ein digitales Kreativstudio mit Maussteuerung – ein Projekt, das nicht nur als Software, sondern als kulturelle Schnittstelle zwischen Spiel und Kunst gedacht war. Entwickelt wurde Mario Paint von Nintendo Research & Development 1 (R&D1), unter der Leitung von Gunpei Yokoi, dem legendären Vater des Game Boy. Die eigentliche Software entstand unter der Regie von Makoto Kano, während der bekannte Sound-Komponist Hirokazu "Hip" Tanaka den unvergesslichen Soundtrack beisteuerte, der noch heute in zahllosen Internet-Memes weiterlebt.

Die Entwicklung begann bereits 1989, als sich Nintendo erste Gedanken über ein Zeichenprogramm für das Super Famicom machte. Inspiriert durch den Erfolg von Kreativsoftware wie „Kid Pix“ auf dem Macintosh, wollte man ein intuitives, kinderfreundliches Programm entwickeln, das vollständig mit einem eigens produzierten Maus-Controller gesteuert werden konnte. Die SNES-Maus – ein rundliches, graues Gerät mit zwei Tasten – wurde exklusiv mit Mario Paint ausgeliefert. Interne Designnotizen zeigen, dass der Arbeitstitel zunächst schlicht „Painting“ lautete, aber Miyamoto selbst bestand auf eine thematische Verankerung in der Mario-Welt, um die Zugänglichkeit zu erhöhen. In einer späteren Entwicklernotiz heißt es: „Kinder sollen es in die Hand nehmen und sofort ein Gefühl dafür haben. Die Maus ist nicht wie ein Controller – sie ist wie ein Stift, ein Pinsel, ein Werkzeug.

Mario Paint war in drei Hauptbereiche unterteilt: einen Malmodus, eine Musikkompositionseinheit und einen Animationseditor. Hinzu kam ein Mini-Spiel namens „Gnat Attack“, in dem der Spieler mit der Maus Fliegen erschlagen musste – ursprünglich als Debug-Test gedacht, entwickelte sich dieses Spielchen zu einem kleinen Kult. Besonders die Musikkomponente, bei der der Spieler mit Symbolen wie Pilzen, Sternen oder Yoshis eigene Kompositionen erstellen konnte, erfreute sich später enormer Popularität auf YouTube und in Fan-Communities. Hirokazu Tanaka, der zuvor unter anderem die Musik zu „Metroid“, „Dr. Mario“ und „Balloon Fight“ komponierte, erinnerte sich später: „Ich wollte etwas schaffen, das sich wie ein Spiel anfühlt, aber Musik ist. Wenn du auf ein Symbol klickst und es macht einen Ton, dann hast du schon Musik gemacht.

Trotz seiner ungewöhnlichen Natur war Mario Paint kommerziell kein Misserfolg – im Gegenteil. Bis zum Ende seiner Laufbahn verkaufte es sich weltweit rund 2,3 Millionen Mal, davon über 1,3 Millionen allein in den USA. In Japan wurde es 1992 veröffentlicht, in Nordamerika folgte es im August desselben Jahres, Europa musste jedoch bis 1993 warten. Die internationale Presse zeigte sich überwiegend positiv überrascht. „Electronic Gaming Monthly“ lobte: „It’s not a game, but it’s one of the most entertaining things you can do on your SNES.“ Die französische Zeitschrift Joystick schrieb 1993: „Mario Paint est un OVNI – un objet vidéoludique non identifié, mais absolument captivant.( Mario Paint ist ein UFO – ein unidentifiziertes videospielerisches Objekt, aber absolut fesselnd.)“ Die deutsche Zeitschrift Video Games nannte es „ein Meilenstein des interaktiven Lernens.

Trotz der positiven Resonanz war Mario Paint nicht unumstritten. Einige Stimmen kritisierten, dass der Nutzen ohne Diskettenlaufwerk oder Speichererweiterung stark limitiert sei. In Japan gab es sogar Petitionen für eine Diskettenversion, um Werke speichern und tauschen zu können. Ursprünglich hatte Nintendo intern tatsächlich Prototypen für eine erweiterte Speicherlösung entwickelt, doch diese wurden nie veröffentlicht. Später tauchte in einem geleakten Produktionsdokument aus dem Jahr 1993 die Notiz auf: „No FDS port planned. Market does not justify dev cost.“

Ein weiteres Kuriosum war die TV-Werbung in den USA, die Mario Paint als Tool für „Game Designers of the Future“ bewarb – mit einem Sprecher, der behauptete, „with Mario Paint, you can animate your own Mario adventures!“ Dies führte zu Verwirrung, da das Animationsmodul lediglich Vier-Bild-Sequenzen bot. Dennoch inspirierte die Software eine ganze Generation von Nutzern, selbst kreativ zu werden. In Interviews mit GamePro aus dem Jahr 2001 gaben mehrere spätere Game Designer an, ihre ersten Erfahrungen mit digitaler Kreativität in Mario Paint gesammelt zu haben. Ein bemerkenswerter Fall ist Toby Fox, der Schöpfer von Undertale, der als Kind Mario Paint nutzte, um MIDI-ähnliche Kompositionen zu erstellen.

Konvertierungen des Originals blieben rar. Es gab keinen offiziellen Port auf spätere Nintendo-Konsolen, allerdings basierten viele Mini-Programme auf der Wii oder dem DSi, wie z. B. Flipnote Studio, konzeptionell auf Ideen aus Mario Paint. 1999 erschien Mario Artist für das Nintendo 64DD – ursprünglich als geistiger Nachfolger von Mario Paint konzipiert – doch wegen der geringen Verbreitung des 64DD blieb es Japan vorbehalten. In einem seltenen Interview sagte Miyamoto 2001: „Mario Artist war unser Traum – die vollständige Verwirklichung dessen, was Mario Paint sein wollte. Aber das Timing war falsch.

Zu den Entwicklern hinter Mario Paint gehörten neben Makoto Kano (Game Design) auch Kazumi Totaka (Sound Assistant, später bekannt durch die Totaka’s Song-Easter Egg) und Toshio Iwawaki (Lead Programmer), der zuvor an „Famicom Wars“ gearbeitet hatte. Kazumi Totaka selbst wurde später durch seine Arbeiten an Animal Crossing und Luigi’s Mansion bekannt.

Einige interessante Trivia rund um Mario Paint: Totakas geheimes Musikstück, heute als „Totaka’s Song“ bekannt, wurde erstmals hier gefunden – durch einen versteckten Mausklick auf die Titelschrift. Der Mauszeiger konnte auch verschiedene Formen annehmen, darunter ein Mario-Handschuh oder eine Spinne. Zudem ließ sich das Spiel mit Hilfe von Cheat-Modulen manipulieren, um benutzerdefinierte Farben oder längere Musikstücke zu ermöglichen. Besonders auf Plattformen wie YouTube oder Nico Nico Douga wurden über Jahre hinweg Musikstücke wie der Super Mario Bros. Overworld Theme oder Through the Fire and Flames mithilfe des Musikeditors nachgebaut – ein kulturelles Phänomen, das weit über die Lebenszeit des Spiels hinaus wirkte.

Rückblickend ist Mario Paint mehr als nur ein Experiment. Es war ein Manifest von Nintendos Philosophie: Kreativität, kindliche Neugier und technische Einfachheit zu vereinen. Obwohl es nie einen direkten Nachfolger auf dem Markt erhielt, war sein Einfluss nachhaltig – nicht zuletzt als frühes Zeugnis dafür, dass Spiele mehr sein können als Unterhaltung. Wie Shigeru Miyamoto einmal sagte: „Nicht alle Spiele müssen gewonnen werden – manche sind einfach nur dazu da, gespielt zu werden.“

Veröffentlicht in Programme.

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