Oric
In den frühen 1980er Jahren startete das britische Unternehmen Tangerine Computer Systems einen weiteren Vorstoß in den Heimbereich: Im Frühjahr 1982 gründeten die Erfinder Dr. Paul Johnson und Barry Muncaster die Tochterfirma Oric Products International Ltd (OPI), um einen ZX-Spectrum-Konkurrenten zu entwickeln. Finanziell unterstützt wurde das Unterfangen maßgeblich durch den Gebrauchtwagenhändler British Car Auctions (BCA) um den Firmenchef John Tullis, der auch selbst als Managing Director von OPI eintrat. Am 27. Januar 1983 lud OPI zur offiziellen Markteinführung des neuen Heimcomputers Oric-1 ein. Im noblen Ambiente von Coworth Park, dem Sitz des Unternehmens, prahlte Vertriebsleiter Peter Harding mit Großaufträgen: Man habe bereits Lieferverträge für über 200.000 Geräte und wolle „Clive Sinclair schlagen, indem wir für viel weniger Geld sehr viel mehr bieten“. Der Oric-1 kam in zwei Speichervarianten auf den Markt – 16 KB RAM für £129 und 48 KB für £169,95 – und übertraf preislich selbst das Sinclair ZX Spectrum-Angebot nur um Haaresbreite. Entwickler Paul Kaufman formulierte damals selbstbewusst: „Der Oric ist ein Konkurrent zum Spectrum… Wir sind überzeugt, dass er eine bessere Maschine ist“.
Tatsächlich gelang dem Oric-1 ein spektakulärer Marktstart. 1983 verkaufte OPI etwa 160.000 Stück in Großbritannien – und weitere 50.000 in Frankreich, wo das Gerät zeitweise sogar das meistverkaufte Computersystem des Jahres war. Ein glücklicher Zufall kam hinzu: Der eingebaute RGB-Monitoranschluss erwies sich für Frankreich nützlich, da er das einfache Scart-Kabel für das dort übliche SECAM-Fernsehen ermöglichte. Fachpresse und Kunden lobten das Gerät weitgehend: So stellte Your-Computer-Redakteur Meirion Jones fest, dass der Oric-1 „mit dem Bewusstsein konstruiert wurde, dass Computer 1983 immer mehr für praktische Zwecke eingesetzt werden“ und hob etwa den Centronics-Druckerport hervor. Er schrieb: „Das Gerät lässt sich dadurch leicht mit Druckern und anderen Peripheriegeräten verbinden. Oric wird bald ein Modem auf den Markt bringen, damit Prestel verfügbar ist“. Schon mit dem ersten Modell zeichnete sich ab, dass OPI Business- und Heimanwender zugleich ansprechen wollte. Eine Rezension in Popular Computing Weekly wies darauf hin, dass Oric viel Werbeplatz „den Vorteilen der Maschine für den Business-Benutzer widmet. Sie betonen die Verfügbarkeit eines Modems und versprechen (ohne Termin) Microdrive-Disketten und einen Schnellprinter“. Tatsächlich lag ein Oric-1 oft neben der Gebrauchsanweisung ein kleines „Tansoft“-Magazin bei, und der Oric wurde als moderner Allrounder gepriesen.
Trotz des anfänglichen Erfolgs wuchs der Finanzbedarf schnell. Nachdem OPI kurzzeitig mit hohen Wachstumsprognosen operiert hatte („Wir haben 25.000 im Februar und 32.000 im Mai verkauft… Wir erwarten 400.000 Geräte bis Februar 1984“), mussten die Verantwortlichen realisieren, dass die Traumzahlen nicht zu halten waren. Man versuchte weiterhin, weltweit zu expandieren – es waren sogar Aufträge aus Asien und Amerika erhofft worden – und in Folge der Käuferströme wurde im Oktober 1983 die Kenure-Fabrik in Berkhamsted Opfer eines Brandanschlags. Der Großteil der Produktionsstätte, darunter rund 15.000 Oric-ROM-Bausteine, wurde zerstört; bemerkenswerterweise lief die Produktion jedoch innerhalb von 24 Stunden in einer anderen Halle weiter. In dieser Phase stieg der Investor Edenspring Investments ein: Er kaufte OPI Anfang 1984 praktisch auf und steckte rund 4 Millionen Pfund Frischkapital in das Unternehmen. Aus der Finanzierung resultierte im Januar 1984 das Nachfolgemodell Oric Atmos.
Die Atmos erwies sich technisch als behutsam verbessertes Modell: Sie bot ein neues Gehäuse mit eleganterem Tastatur-Layout und aktualisierte System-ROM-Version 1.1, löschte damit viele der ältesten Fehler des Oric-1, blieb aber im Kern ein Oric-1 der vierten Revision. Auf der Which-Computer-Show (1/1984) in Birmingham präsentierte OPI einen Prototyp eines 3-Zoll-Diskettenlaufwerks und das neue Atmos-Gehäuse, das zum gleichen Preis von £170 angeboten wurde. Doch in der Produktpresse kam die Atmos recht nüchtern an. Der Your-Computer-Redakteur Bryan Skinner bemängelte: „Ich sehe nicht, wie man die Atmos ein neues Produkt nennen kann“ (Your Computer, 3/1984) – angesichts der weitgehenden Funktionsgleichheit mit dem Vorgänger blieb das Publikum eher skeptisch.
Parallel zum Oric-1 und zur Atmos baute OPI ein umfangreiches Peripherie-Programm auf: Neben Kassettenrekordern und joysticks sollten Modems, Drucker, Plotter und Laufwerke die Maschine ergänzen. Oric selbst versprach bei der Produkteinführung, bald ein Modem, 5¼-Zoll-Disketten und sogar Sinclair-ähnliche „Microdrive“-Laufwerke zu liefern. Serienreife erlangten davon nur das Modem (lieferbar Ende 1984) und ein einfacher Drucker. Einige geplante Projekte wie ein Pascal-Compiler oder die versprochene Extended-BASIC-Variante (ein BBC-ähnliches BASIC) blieben jedoch ebenso unveröffentlicht wie die bunten Plotter der MCP-40-Baureihe, deren Technik OPI zwar nutzte, die aber letztlich nur sehr wenige Oric-Nutzer zu Gesicht bekamen.
Die Marktsituation verschärfte sich im Verlauf der 1980er Jahre deutlich. In Großbritannien dominierte weiterhin Sinclair mit dem preiswerten Spectrum sowie Commodore mit dem C64 (letzterer kam 1983) den Massenmarkt. Im Frühjahr 1984 drängte mit dem Amstrad CPC 464 ein weiterer starker Konkurrent auf den Markt, der in Großbritannien und Frankreich rasch hohe Absatzzahlen erzielte. In Frankreich hingegen hatte Oric 1983 noch seinen Zenit: OPI-Partner und -Importeur A.S.N. (Atari SA Nouvelle) und der französische Verlag Eureka Informatique brachten Oric-1 und Atmos stark ins Gespräch. Als Folge wurde OPI nach der Zahlungsunfähigkeit von Edenspring zum französischen Objekt: Schon Anfang 1985 ordnete Edenspring die Insolvenz an. Kurz zuvor war auf der Frankfurter Computer-Messe Anfang Februar 1985 erstmals der Nachfolger Oric Stratos (auch „IQ164“) gezeigt worden. Am 2. Februar wurde das britische OPI überraschend in die Zwangsverwaltung überführt.
Als einziger Bieter trat nun Eureka Informatique hervor: Die französische Firma übernahm OPI mit allen Rechten, nannte sich in „Oric Products International“ um und setzte die Entwicklung fort. Eureka brachte 1986 zunächst die Stratos in Serie, die in der Werbung als Oric Stratos oder IQ164 geführt wurde – ein technisch aufgemöbelter Atmos-Klon mit zusätzlichen ROM-Cartridge-Slots. Kurz darauf erschien noch 1986 der Oric Telestrat, eine Art weiterentwickelte Variante mit eingebautem Gehäuse-Modem und neuen Bauteilen. Trotz namhafter Zusatzsoftware reichte es nur zu wenigen Tausend Verkäufen. Gerade einmal etwa 6.000 Telestrat-Geräte fanden noch Käufer, bevor Eureka 1987 bankrottging. Ein geplanter Nachfolger Telestrat II, beworben 1987, kam nie heraus. Im Dezember 1987 musste auch das französische Unternehmen Konkurs anmelden, womit das Kapitel „Oric Computer“ endgültig endete.
Neben den offiziellen Geräten leben Oric und Atmos aber in Retrogaming-Kreisen weiter. Lizenzierte Klone entstanden in Osteuropa, etwa als «Oric Nova 64» in Jugoslawien und als bulgarischer «Pravetz 8D» (basierend auf dem Atmos). In den letzten Jahren haben Fans zahlreiche Nachbau-Projekte gestartet: FPGA-Implementierungen des Oric (zum Beispiel für das MiSTer-System) sowie Hobby-Repliken wie das OriClone-Projekt belegen den Enthusiasmus der Community.
Hinter diesem Unternehmen standen einige markante Persönlichkeiten, deren Biografien nach Oric-Ära bemerkenswert verliefen. Paul Johnson, der technische Kopf, gründete später mehrere Halbleiter-Designberatungen (Array Consultants, Energys) und leitete den Chip-Hersteller Cyan (aus Cambridge Consultants hervorgegangen). Heute arbeitet Johnson als Berater in der Elektronikbranche. Barry Muncaster wechselte nach Oric in leitende Positionen in der Biotechnologie. John Tullis engagierte sich weiterhin in Technologie-Firmen. Ihrerseits gründete Oric-Pionier Paul Kaufman nach seinem Weggang als OPI-Redakteur Ende 1983 die Softwarefirma Orpheus (Multi-Plattform-Entwicklung) und später LanSource; inzwischen leitet Kaufman den Vertrieb der Musik-Computer-Firma IK Multimedia für Großbritannien. Vertriebschef Peter Harding – 1983 erst 34 Jahre alt – begleitete den Oric-Start bis zum Aus, verstarb jedoch bereits 2004. Viele damalige Entwickler und Händler der Oric-Ära erinnerten sich später daran, dass «Oric» einst als «Computer aus Großbritannien – und doch gerade in Frankreich geboren» galt. Die schnelle Auflösung des Unternehmens und sein Exodus nach Frankreich wurden später von Fachmagazinen lakonisch kommentiert. Laut zeitgenössischen Berichten sei „Oric jetzt französisch“, nachdem Eureka übernommen hatte. Heute gilt die Oric-Familie vielen Retro-Enthusiasten als nostalgisches Kultobjekt – als Pionier einer Epoche, in der man glaubte, mit „viel mehr für viel weniger Geld“ einen Massenmarkt erobern zu können.